Der Erde eine Stimme geben
Michael Heim im Dialog mit Doris Ragettli, Mit-Gründerin der Bewegung “Rights of Mother Earth”.
Die Idee, der Natur eine Stimme zu geben, die Natur als belebtes Gegenüber anzuerkennen und ihr in aller Konsequenz auch einen rechtlichen Status zu geben – dieser Idee ist die Schweizerin Doris Ragettli seit mehr als 12 Jahren verpflichtet.
Michael Heim (Natur-Dialog Magazin): Doris, ist Dir die Stimme der Natur in die Wiege gelegt worden?
Doris Ragettli: In gewisser Weise vielleicht schon; ich bin in einem kleinen Dorf in Graubünden aufgewachsen – damals haben sich die Familien dort abgewechselt, einmal bis zweimal in der Woche in der umliegenden Natur einen Rundgang zu machen um zu schauen, ob es dem Wald, den Tieren, dem Fluss gut geht, – und wenn uns etwas aufgefallen ist, dann haben wir es gemeinsam korrigiert. Ich habe noch im Ohr, dass, wenn wir von diesen Spaziergängen nach Hause kamen, meine Mama immer auf Rätoromanisch gefragt hat: „tut va baign? “ – und dann antwortete der Papa zumeist „tut va baign!“ – was dann hieß, dass es allen – Mensch, Tier und Natur, gut ging.
Und so hast Du dann gleich einen Beruf gewählt, in dem Du Dich ganz für die Natur engagieren konntest?
Nein, so ist das nicht gewesen… Ich habe viele Jahre – bis 2005 – ehrenamtlich für eine humanitäre Organisation gearbeitet. Dann habe ich eine Auszeit gemacht – und viel darüber nachgedacht, dass wir nicht nur den Menschen schützen und dabei die Natur zerstören können. Es gab da schon früh ein Schlüsselerlebnis, wo ich 7 Jahre lang Fahrrad Touren mit Jugendlichen im Rahmen von „Cyclists Ending Hunger“ mit geleitet habe, während derer wir sehr naturverbunden lebten, draußen übernachteten, ganz nah dran waren an der Natur. Ich erinnere mich sehr gut, wie schockiert wir waren als wir 1994 den Rocky Mountains entlang radelten, von Denver nach Seattle, und wir in eine Gegend kamen, in der die Wälder kahlgeschlagen wurden.
Die Baumstämme wurden auf riesigen Lastern auf der Autobahn abgetragen, um Platz zu schaffen für Rinder, unglaublich viele Rindern, die sehr eng und unwürdig gehalten wurden, um dem Fleischkonsum zu dienen. Ich weiß noch sehr gut, wie diese riesig großen Trucks an uns vorbeifuhren, mit den frisch gefällten Bäumen – die so gut nach Tannennadeln rochen, sie waren so lebendig für uns, wie große Wesen, welche zu Grabe getragen wurden. Wir mussten damals alle weinen, so nah ging uns diese Brutalität. Ein wahres „Ecocide“! (Anm.: Der Begriff Ökozid wird laut Wikipedia für die Ausrottung eines Volkes durch die ökologische Zerstörung seiner natürlichen Lebensgrundlagen verwendet und meint in allgemeinen Definitionen auch die Störung des ökologischen Gleichgewichts durch Umweltverschmutzung.) Wir entschieden uns damals alle Vegetarier zu werden und ich entschied damals, mich eines Tages für Mutter Erde einzusetzen – vor allem auch für den Schutz der Bäume mit dem Gedanken, dass es doch schon längst veraltet ist, wirtschaftlichen Profit zu machen mit dem Wald – er ist doch die Lunge der Erde und wir sollten die Bäume ehren und in Ruhe lassen.
2009 ist mir die Idee mit der Petition für eine Deklaration für die Rechte der Mutter Erde eigentlich in den Schoss gefallen: Ich wollte ein Werkzeug kreieren, welches den Menschen auf der ganzen Welt eine Möglichkeit gibt, am Erdgipfel Rio+20 die Stimme für die Erde zu sein – nicht nur Politiker und Wirtschaftsvertreter. Kurz nachdem ich dieses Projekt niedergeschrieben hatte, erzählte mir eine Bekannte in New York von der Arbeit der Pachamama Alliance. Weil wir schon damals im Hunger Projekt den Leitgedanken hatten „ending hunger and poverty in harmony with nature“ empfahl sie mir deren Programme.
Mit der Pachamama Alliance kam ich dann in Ecuador mit indigenen Menschen in Kontakt – und mit anderen Menschen, die dem Aufruf der Achuar People gefolgt sind, sich für die Rechte der Mutter Erde zu engagieren.
Im 2010 wurde dann eine universelle Deklaration der Rechte der Mutter Erde an der People’s Conference for Climate Change in Cochabamba, Bolivien verabschiedet, welche dann auch vom damaligen bolivianischen Präsident, Evo Morales, der UNO vorgelegt wurde. Dies ist die Deklaration die wir empfehlen. Wir sind uns jedoch bewusst, dass die UNO und ihre Mitgliedstaaten selber eine entwerfen müssen. Wir schlagen die Deklaration aus Cochabamba jedoch als Vorlage vor.
Und das Projekt war erfolgreich?
Der erste Teil des Projekts auf gewisser Weise schon. Wir konnten dem damaligen UNO Generalsekretär, Ban Ki-moon am Erdgipfel Rio+20, 2012, fast 117.000 Unterschriften überreichen – und 2015 an der COP21 in Paris, eine weitere Zwischenbilanz der Unterschriften.
Eindrücklich. Ist euer Verein jetzt regelmäßig an der UNO?
Seit 2016 sind wir Mitglied des knowledge networks der UN in Harmony with Nature. Ich konnte dort 2018 als Panel Speaker an der UNO in New York diese Globale Petition vortragen, um die Stimme der Zivilbevölkerung zu vertreten, mit der Bitte an die UNO, sich zu verpflichten eine Deklaration der Rechte der Mutter Erde zu verfassen und dann anzunehmen. Dies würde den nötigen Paradigma Wechsel einläuten, von der anthropozentrierten Weltsicht, basierend auf der Menschenrechts Deklaration, die seit 72 Jahren die UNO leitet, zu dem nötigen erdzentrierten Fokus, welcher die Natur als ein lebendes Wesen anerkennt, das ebenso wie der Mensch geschützt werden muss und wovon wir Menschen ein Teil sind und nicht separiert – oder gar – übergeordnet.
Gibt es für die nähere Zukunft Meilensteine?
Das oberste Ziel ist natürlich, dass die UNO eine Deklaration für die Rechte der Mutter Erde annimmt. Unser Meilenstein auf diesem Weg ist primär 1 Million Unterschriften zu sammeln – nach einem Neustart im 2018, haben wir heute fast 300‘000. Sie finden die Petition hier: bitte gerne unterzeichnen und teilen, jede Stimme zählt!
Wir arbeiten auch daran, dass die Rechte der Natur im Post-2020 Framework der Convention of Biodiversity (CBD) berücksichtigt werden, dies ist sehr wichtig und beinhaltet einen Aufruf aktiv zu werden.
Und wir vernetzen uns global – es gibt so viele wunderbare, inspirierte Menschen, die sich für die Rechte der Mutter Natur vor Ort einsetzen und durch die dieses Anliegen immer mehr Gehör findet z.B. The Community Environmental Legal Defense Fund (CELDF) in den USA, The Australian Earth Laws Alliance (AELA), The Global Alliance for the rights of Nature oder auch Earth Law Center
Wie siehst Du den aktuellen Schwung eurer Bewegung?
Ich merke, dass es eine großartige globale Unterstützung für diese Ziele gibt – immer mehr Menschen wachsen in dieses Bewusstsein hinein, dass wir als Lebewesen global mit allem Leben, eben der Natur und der Mutter Erde, verbunden sind. Das drückt sich auch in der Resonanz aus, die ich auf internationalen Foren erfahre. In den ersten Jahren wurden wir sehr kritisch angeschaut, manchmal gar verbal angegriffen – heute gibt es sehr viel Sympathie, und Einladungen: Laut dem Shift Magazin ist die „Bewegung für die Rechte der Mutter Erde eine der schnellst wachsenden Bewegungen der letzten 10 Jahre“.
Doris, vielen herzlichen Dank für dieses inspirierende Interview!
In den USA, wurden in über 34 Gemeinden lokale Verordnungen verabschiedet, welche die Natur Rechte anerkennen. z.B. in Santa Monica, California.
Bolivien hat das Konzept Buen Vivir in der Verfassung verankert, welches das Leben in Harmonie mit der Natur miteinbezieht.
In Indien wurden die zwei Flüsse Gangas und Yamuna und die im Himalaya Gebiet liegenden Gletscher Gangotri and Yamunotri, vom Gerichtshof in Uttarakhand, als lebende Wesen anerkannt.
Diese Liste ist bei weitem nicht komplett und es kommen erfreulicher Weise jedes Jahr mehr Beispiele dazu. Hier eine aktuelle Übersicht.
Michael Heim engagiert sich als Organisationsberater und Coach rund um das Thema “Nachhaltige Lebensführung”. Infos unter www.nature-and-progress.de
Titelfoto: Natalia Botero
CC BY ND Verwendung zu nicht-kommerziellen Zwecken erlaubt, solange dies ohne Veränderungen und vollständig geschieht und der Urheber genannt wird.