Out4Life
Warum neo-ökologische Wirtschaft mehr braucht als einen neuen Businessplan.
Menschen die natur-dialogisch im Feld von Unternehmen und Organisationen arbeiten, fragen sich ob und wie die (Wieder-)Verbindung Mensch-Natur auch abseits von strategischen Überlegungen gelingen kann. Sinha Weninger hat in digitalem Briefwechsel mit Peter Schramek von out4life.at gesprochen. Er ist mit Wirtschaftstreibenden draussen unterwegs und für ein neues Naturverständnis engagiert.
Peter, viele Wirtschaftsbereiche sind nach wie vor auf Konsum und Wachstum ausgerichtet. Welche Veränderung siehst Du hier? Und welche Rolle spielt die Natur dabei?
Nicht zuletzt durch die Schreckensszenarien des Klimawandels ist “die Natur“ als Notwendigkeit und Ressource in den Vorstandsbüros der Wirtschaftsunternehmen angekommen. Nachhaltigkeitsberichte, Sustainable Development Goals und Circular Economy Konzepte prägen diese „Neo-Ökologie“: ein sogenannter Megatrend, der Beziehung von Wirtschaft und Naturverbundenheit völlig neu definiert. Wir müssen es schaffen, der Natur dabei den ihr gebührenden Platz „auf Augenhöhe“ einzuräumen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich das alles unter einen Hut bringen lässt: eine prosperierende Wirtschaft in einer intakten Natur. Mit Menschen, die sich wahrhaft als Teil dieser Natur verstehen. Dazu müssen wir aber das meiste, was wir bis jetzt über Wirtschaftsökonomie gelernt haben über Bord werfen und eine neue Kultur etablieren.
Kannst Du uns ein paar Beispiele geben?
Die Bewegung Fridays for Future hat den Grundstein für eine Änderung im Mindset vieler Menschen gelegt. Ökologische Werte treten in den Vordergrund und schaffen eine neue Identität. Die Wirtschaft hat verstanden und reagiert in vielen Bereichen bereits darauf. Stichwort Neo-Ökologie. Für das Zukunftsinstitut (M. Horx) ist dies der wichtigste Megatrend unserer Zeit. Vieles ist schon geschehen, wie Bio-Boom, Circular Economy, sustainable Investments, Green Tech, Sharing Economy uvam. Und da werden sich noch unglaubliche Chancen auftun.
Nehmen wir das Beispiel Auto. Viele junge Menschen wollen keines mehr besitzen, aber trotzdem mobil sein. Hier braucht es kein weiteres Fahrzeug-Modell, sondern kreative und attraktive Angebote wie Car Sharing, e-bikes, Apps für die Vernetzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Leihwagen und ähnliches. Also intelligente, horizontale Diversifikation. Noch besser ist es dann, wenn Unternehmen mit ihren kreativen Produkten das Konsumverhalten aktiv verändern! Denn nicht alle Konsumenten haben stets den ökologischen Fußabdruck im Fokus.
Für viele Menschen ist Natur eine Ressource – ein Ort für die Gesundheit, zum Wandern und Spaziergehen. Je mehr MitarbeiterInnen die Natur erleben, erfahren, wer und wie sie ist, desto stärker werden sie den Kulturwandel hin zur Neo-Ökologie mittragen.
Du beschäftigst dich mit Wechselwirkungen zwischen Menschen und Natur und setzt darauf dass dieser „Dialog“ die Selbstentwicklung und Selbstentfaltung von Menschen beeinflussen kann. Was darf man sich darunter vorstellen?
Wenn wir in die Natur gehen, dann tut das etwas mit uns. Mit unserem Innersten. Denken wir zurück, wie wir barfuss über den Sandstrand gelaufen sind und den weichen Sand gespürt, die salzige Luft gerochen und den unglaublichen Blick bis zum Horizont genossen haben. Oder am Berg, am See, im Wald…
In solchen Augenblicken spüren wir ganz tief drinnen die Verbindung zur Natur. Und wir können es nicht absprechen: wir sind trotz Industrialisierung, Automatisierung, KI etc. noch immer Teil von ihr. Wir sind das seit Millionen von Jahren und werden das immer sein. Da draussen kommen wir in eine Resonanz mit uns und dringen in tiefere Bewusstseinsebenen vor. Das hilft uns immens bei der Selbstentwicklung und Selbstentfaltung. Dazu kommt die Symbolik der Natur. Wir sprechen im Naturdialog auch von Phänomenologie. Die Natur mit ihrer immensen Vielfalt hilft uns, unsere Gedanken, Gefühle, Werte, Glaubenssätze etc. in eine Bildsprache zu übersetzen, die wir nicht immer in Worte fassen können. So wird z.B. ein Fluss zum Sinnbild des Lebensflusses. Mit Stromschnellen, kleinen Wasserfällen, engen Schluchten, weiten Buchten. Oder eine Baumgruppe zum Sinnbild eines Teams. Mit dominanten und unscheinbaren Bäumen, eng zusammenstehenden und distanzierteren, mit kleinen Grüppchen und alleinstehenden.
Im Natur-Dialog Ansatz verstehen wir die Phänomene ja als eigenständige Stimme der Natur. In vielen verschiedenen Facetten gibt es Zeichen und sprechen Sie mit uns, oder auch nicht. Wie erlebst Du diesen Dialog bei Deinen Kundinnen und Kunden?
Das ist der wichtigste “Stoff”, mit dem wir Naturtherapeuten arbeiten, wenn wir Menschen im Draussen begleiten. Natürlich ist es individuell sehr unterschiedlich wie wir etwas mit unseren 5 Sinnen wahrnehmen, wie es uns erscheint und wie die Phänomene dann auch unser Handeln beeinflussen.
Du bist sehr überzeugt von der Arbeit mit und in Naturräumen . Wofür engagierst Du Dich, wo siehst Du Möglichkeiten und Bezug für den Natur-Dialog Ansatz?
Die Wirtschaft kann mehrfach davon profitieren:
1) Gesundheit: Es ist vielfach wissenschaftlich belegt, dass der Aufenthalt in der Natur unserer Gesundheit guttut. Gesunde MitarbeiterInnen werden in Zukunft noch stärker im Fokus der Unternehmen stehen, denn der Wettlauf um die besten MitarbeiterInnen wird immer intensiver werden.
2) Umgang mit dem Unbekannten: Draußen erleben wir mit allen Sinnen. Und wir merken, dass wir hier auch mit Unwägbarkeiten wie Regen, Sturm etc. zu tun haben, mit denen wir umgehen müssen. Das hilft uns in einer disruptiven Welt gelassener und auch kreativer zu sein.
3) Neue Perspektiven: Tiefgreifende Erfahrungen in der Natur erlauben uns einen neuen, frischen Blick auf das, was uns wichtig ist, die Dinge von einer völlig neuen Seite zu sehen. Ja das kann zu Beginn auch irritieren, denn die Natur holt uns immer aus unserer Komfortzone heraus. Doch gerade Irritation und der Wechsel von der Komfort- in die Lernzone sind unerlässlich für unsere Entwicklung.
4) Abseits der Leistungsgesellschaft: Da draussen können wir die Leistungsgesellschaft verlassen. Sie zeigt uns, dass wir nicht alles regeln und im Griff haben können und am Ende aber trotzdem alles gut ist, wie es ist. Das mag für Führungskräfte zunächst verstörend wirken, ist es doch genau der Leistungsanspruch, der so viele wirtschaftliche Rädchen am Laufen hält. Doch der hat auch viele Schattenseiten: Machtansprüche, Angstneurosen, Depression, Narzissmus oder Minderwertigkeitsgefühle sind die ständigen Begleiter vieler Teams. Und lähmen deren Kooperationsfähigkeit und damit deren Potential. Erlebt sich der Mensch im Gegensatz dazu als Teil eines großen Ganzen (was in der Natur automatisch passiert), findet das Ego zu einer wohltuend angemessenen Größe zurück. Wir öffnen uns für die Bedürfnisse der anderen und finden zu einem neuen Miteinander.
5) Wirtschaftliches Handeln im Einklang mit der Natur: Zu guter Letzt erlaubt es uns, wirtschaftliches Handeln zunehmend im Einklang mit den Grundsätzen der Nachhaltigkeit zu betrachten. Ich erwähnte bereits, dass Neo-Ökologie der treibende Megatrend des nächsten Jahrzehnts sein wird.
Je stärker Führungskräfte sich im „Dialog” mit der Natur befinden, desto wirksamer werden sie dieses neue Gedankengut im eigenen Unternehmen umsetzen.
Eines Deiner Angebote nennt sich „Nature-Retreat“? Was geschieht da?
Ich erinnere mich an einen Verkaufsleiter, der bereits verschiedenste Führungspositionen inne hatte und nun nicht wusste, wie es weitergehen soll. Er hat während eines 2-tägigen Natur-Retreats mit unterschiedlichen Übungen seine Vision gefunden und auch die nächsten Handlungsschritte mit nach Hause genommen.
Oder ein Team, in dem immer wieder innere Konflikte aufgetaucht und hochgekocht wurden. Im Miteinander im Draussen – bei Einzelübungen, Reflexionen, beim gemeinsamen Kochen oder im tiefen Gespräch am Lagerfeuer konnte das Team genau jene Themen herausarbeiten, die die Trigger aller Konflikte waren.
Meinst Du, dass durch derartige Führungskräfteentwicklungsmassnahmen Einfluss auf die Gesellschaft erzielt werden kann und wenn ja, wie kann das gelingen?
Ich bin zutiefst überzeugt, dass dadurch eine neue Kultur in den Unternehmen geschaffen werden kann. Eine Kultur der Wertschätzung, des Vertrauens, des Verständnisses, des Zusammenhalts. Eine Kultur, bei der auf das Gemeinsame mehr Wert gelegt wird als auf das Individuelle. Eine Kultur, die der Natur auf Augenhöhe begegnet. All das hat Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, so wie wir miteinander umgehen. Und das wird nur funktionieren, wenn Wirtschaft und Gesellschaft gleichzeitig diesen Weg einschlagen.
Was ist aus Deiner Sicht der Unterschied zwischen Outdoor-Training, Erlebnispädagogik und ähnlichen Angeboten, die Naturbeziehung teilweise in den Dienst von Wachstum und Effizienz stellen, und unseren naturdialogischen Arbeitsweisen?
Meine Erfahrung ist, dass bei solchen Formaten die Natur als Rahmen und als Werkzeug dient, um gewisse Verhaltensweisen im Team zu verbessern. Sie wird sozusagen dafür „benutzt“. Ich möchte diese Art der Trainings nicht schlechtreden, sie haben ihre Existenzberechtigung und sind auch sehr erfolgreich. Ich selbst bin auch Erlebnispädagoge. Doch wir sind bei solchen Formaten nicht mit der Natur, wir sind nicht auf Augenhöhe. Wir stellen uns darüber und kommen nicht in Kontakt mit ihr. Unsere Offenheit für das „Draußen“ geht verloren und damit unsere phänomenologische Wahrnehmung, also der Dialog mit der Natur. Wir vergeben uns die einmalige Chance, diesen Dialog zu erfahren und in tiefere Bewusstseinsebenen vorzudringen. Und schließlich daraus zu lernen: über uns selbst; über unsere innewohnende Verbindung mit der Natur; über das große Ganze, dessen untrennbarer Teil wir sind.
Wie gehst Du in Auftragsklärungen mit dem Spannungsfeld um, dass Unternehmen, Führungskräfte oder Einzelpersonen an Optimierung und Leistung interessiert sind und Eure Arbeit an Werten wie Verbundenheit, Vertrauen und Wertschätzung orientiert ist. Welche Fragen tun sich da auf, was bedeutet das in Deiner konkreten Arbeit?
Das ist immer wieder Thema bei den Erstgesprächen, das ist richtig. Aber ich spüre auch immer stärker die Wichtigkeit von Vertrauen und Wertschätzung in der Unternehmenskultur. Natürlich geht es letztendlich immer um Leistungs- und Gewinnmaximierung, daran wird sich in der nächsten Zeit nicht so schnell etwas ändern. Die Frage ist, welchen Weg schlage ich als Führungskraft dorthin ein. Und je länger wir dann darüber sprechen, desto größer wird auch das Verständnis für eine nachhaltige, respektvolle und wertschätzende Unternehmenskultur – zumindest in den meisten Fällen. Und die Einsicht, dass nur über diesen „Umweg“ Unternehmen langfristig geführt werden können. Zum Wohle der Mitarbeitenden, der Kundschaft, der Shareholder, der Stakeholder, der Natur.
Peter, vielen Dank für den Austausch!
Fussnoten:
David Abram (2015): Im Bann der sinnlichen Natur. Die Kunst der Wahrnehmung und die mehr-als-menschliche Welt. Mit einem Vorwort von Andreas Weber. thinkOYA. [engl. Originaltitel: The Spell of the Sensuous.]
Hartmut Rosa (2018): Unverfügbarkeit. 6. Auflage Januar 2020 Aufl. Residenz Verlag.
Sinha Weninger ist Naturtherapeutin, Dozentin für Sozialpädagogik, Mutter und verantwortlich für das Natur-Dialog Magazin. Weitere Infos unter www.weninger.info
Fotos: Out4life, Hans-Peter Hufenus
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