Wald und Mensch(en)
Besprechung der Produktion Walden von Showcase Beat le Mot
Eindrücke zu Walden von Showcase Beat le Mot – gesehen als LIVE-Stream am 14. November 2020 über das Programm der Arge Kultur in Salzburg im Rahmen des OpenMindFestivals. Was als zweiteiliger Abend angekündigt war, mit einem Waldspaziergang und anschließender Indoor-Performance, wurde nun coronabedingt zum Film: 40 Minuten Waldbaden mit SCBLM.
Fünf Menschen, ein schwarzer Hund und eine Gestalt in Fell am Waldrand. Die Gestalt im schwarz-weiß gescheckten, zottigen Fell trägt eine Kanne in beiden Händen, elektronischer Sound umrahmt die Szenerie…
Die Personen – genauer: eine Frau, vier Männer – gehen rückwärts mit Abstand und Blick nach vorn zur Kamera – alle tragen transparente gelbe Regenhäute, bis sie hinter den Bäumen verschwinden.
Die fünf tauchen in den Wald ein, die Fellgestalt dreht den Rücken zur Betrachterin und sieht ihnen dabei zu. Die Zweibeiner staksen im Gegensatz zum Vierbeiner recht unbeholfen durchs Unterholz – einer steigt über einen liegenden Baumstamm und verliert den Boden unter den Füßen, er fällt und rappelt sich gleich wieder auf.
What goes on – what to do there? singt der Soundtrack,
dann wechselt die Akustik in die Echtzeitgeräusche vor Ort, Blätter rascheln, Zweige knacken und wir lesen Aufforderungen auf dem Bildschirm wie:
Suchen Sie sich einen Wald.
Schalten Sie Ihr Handy aus oder auf lautlos.
Betreten Sie den Wald und gehen Sie 25 Minuten abseits der Wege.
Die Kamera nimmt die Perspektive einer Person ein, die durch den Wald geht, – es ist ein herbstlicher lichter Laubwald, die meisten Blätter liegen schon braun auf dem Boden, die Schritte machen die entsprechenden Geräusche.
Sprechen Sie nicht miteinander.
Achten Sie auf Ihre Umgebung, die Geräusche, den Geruch, die Temperatur, den Wind.
Richten Sie Ihre Blicke nicht nur nach vorne.
Blicken Sie in die Baumkronen.
Konzentrieren Sie sich auf Ihre Atmung.
Auf das Gehen. Atmen Sie langsam und ruhig. Lassen Sie sich Zeit. Achten Sie auf Ihren Gang.
Gehen Sie einen Teil der Strecke barfuss.
Die Sonne scheint – die Szenerie ist freundlich.
Sind Sie im Wald angekommen, suchen Sie sich einen Ort, den Sie besonders angenehm oder schön finden.
Verweilen Sie dort für wenige Minuten. Genießen Sie den Wald.
Was erst als Vogelzwitschern anmutet, wird schließlich erkennbar als Japsen eines Hundes.
Die fünf Personen stehen im Wald – lauschend, spürend.
Menschen, lauschend – spürend im Wald. (Ausschnitt aus Walden von SCBLM)
Schließlich heben sie die Arme und es entsteht der Eindruck, sie wollten sich einfühlen in das Baumsein. Einer umarmt auch einen Baum. Die Kamera filmt in die Baumkronen, der Hund jault und kläfft – seltsam, die Menschen da so stumm und reaktionslos herumstehen zu sehen. Ein anderer Hund reagiert von weitem. Echo.
Dann sehen wir wieder den Waldschrat von hinten durch den Wald gehen – interessant, diese Figur, rätselhaft.
Neue Musik, und neue Anweisungen:
Suchen Sie sich einen Partner
Führen Sie Ihre Begleitung mit geschlossenen Augen zu einem Baum.
Lassen Sie sie den Baum mit geschlossenen Augen ertasten.
Führen Sie sie auf einem anderen Weg zum Ausgangspunkt zurück.
Wählen Sie den Rückweg so, dass die Person mit den geschlossenen Augen etwas die Orientierung verliert. Drehen Sie die Person mit den geschlossenen Augen im Kreis.
Das Erfühlen, das Ertasten des Baumes mit geschlossenen Augen – die Übung wird vollzogen.
Es wird barfuß durch den Wald gegangen – minutenlanges Nur-Stehen als Gruppe im Wald – im Hintergrund die mysteriöse Figur des Waldschrats.
Dann folgt man der Gruppe durch den Wald, als letzter der Waldschrat, der seine Kappe abgenommen hat – es folgt ein Fragenkatalog, gesprochen von einer weiblichen Stimme: Wer von euch backt gerne… Wer von euch ist gelegentlich knapp bei Kasse… Wer von euch würde sich als unabhängig von anderen bezeichnen… Wer von euch würde sich als abhängig von anderen bezeichnen…
Währenddessen sammeln sich die Teilnehmer zu einem Kreis – Sound wird eingespielt.
Wer von euch würde sich als eher alt bezeichnen… Wer von euch würde sich als eher jung bezeichnen… Wer von euch hat die Heimatstadt schon mal verlassen oder tut dies öfter… Wer von euch war in der letzten Zeit in einem Wald unterwegs.
Während der eingesprochenen Fragen wird Holz gesammelt – aber es wird damit nichts angefangen – kein Feuer gemacht.
Wer von euch weicht von sozialen Normen ab…. Wer von euch ist kinderlos… Wer von euch hat weniger als fünf Kinder… Wer von euch hat ein oder mehrere Muttermale… Wer von euch ist interessiert an der eigenen Zukunft …Wer von euch arbeitet gelegentlich an Feiertagen oder am Sonntag… Wer von euch war letzten Sonntag nicht in der Kirche.
Die Holzsammler gehen aus dem Wald heraus – auf der Wiese ist nur noch der Waldschrat unterwegs – dann kommt der Hund ins Bild, wir sehen die Gruppe am Waldrand im Gänsemarsch gehen.
Wer von euch war in der letzten Zeit in einem Wald unterwegs…
Die Gruppe geht am Schluss wieder in den Wald – letzte Großaufnahmen zeigen den Waldschrat, wie er Brombeerblätter in seine Kanne pflückt, dann Waldaufnahme.
Rätselhafte Figur im Wald. (Ausschnitt aus Walden von SCBLM)
Vorher / Nachher – gibt es eine Veränderung? Ja auf jeden Fall gab es eine Veränderung in den Gesichtern, in den Körpern beim letzten Bild. Sie wirken entspannter, tatsächlich, einer von ihnen schmaucht eine E-Zigarette.
Für die Zuschauerin hat der Film Längen, weil das direkte Erleben fehlt, Frau ahnt, was gemeint und beabsichtigt ist, das Eintauchen in den Wald, Fühlung aufnehmen – und gerade dieses Sensorische geht eben nicht. Aber es ist ein interessantes Experiment – was wäre in der Performance im Anschluss im Theaterraum noch gekommen?
Im Gespräch mit der Performancegruppe ist von zehn lebenden Installationen die Rede, die das Phänomen Wald aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten und vertiefen.[1]
Vielleicht gibt es ja doch noch mal eine Gelegenheit, die Doppelvorstellung LIVE zu erleben?
Es wächst in mir die Sehnsucht nach dem wirklichen Erlebnis und danach, ohne ständige Anleitung zu streunen. In mir spüre ich einen Widerstand, wenn ich die Achtsamkeitsübungen höre. Unter dem Stichwort „Waldbaden – Shinrin Yoku“ kommt mir im Internet vieles entgegen.
„Beim Waldbaden geht es darum, unsere Verbindung zur Natur bewusst und achtsam zu vertiefen. Daher unterscheidet es sich von manch anderen Aktivitäten im Wald, bei denen die Umgebung eher eine Art Kulisse für uns ist. Häufig halten wir uns zwar in der Natur auf, konzentrieren uns aber auf etwas anderes.“[2]
Es scheint ein Trend zu sein, die Stärkung des Immunsystems durch den achtsamen Aufenthalt im Wald zu fördern. Und ich frage mich, ob alles ein Label braucht, aus Vermarktungsgründen. Aber warum nicht. Vielleicht braucht es das ja. Wenn es hilft.
Zweifelsohne ist und bleibt die Hinwendung gut, auch wenn die Gestalten seltsam fremd und distanziert bleiben. So mein Eindruck. Als Experiment finde ich es interessant, weil es die Sphären Natur und Kunst verbindet. Auch wenn es in dem Fall eher für die Performerinnen* eine Selbsterfahrung war. War es das? Dem werde ich nachgehen, und das Gespräch suchen…
Walden ist eine Produktion von Showcase Beat Le Mot, Konzert Theater Bern und Theater Freiburg. Gefördert durch den Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes.
Den Film kann man sich hier ansehen.
Fussnoten:
[1] Gespräch „Der Bund“ vom 5.9.2019, nachzulesen auf der Produktionsseite https://showcasebeatlemot.de/walden.
[2] zitiert aus Festival der Sinne – Onlinemagazin.
Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Fotos: Ausschnitte aus dem Film Walden von SCBLM / Portrait: Ulrike Riede
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