Ins Handeln kommen
Ja ich gebe es zu, ich habe einen Tick! Und zwar seit dem ersten Corona-Lockdown im März 2020. Öfter als sonst starte ich von zuhause aus zu Fuß, um an die frische Luft zu kommen. Da ich mitten in der Stadt München wohne, brauche ich ca. 10 Minuten bis zum nächsten Park, der fußläufig nächste ist der Olympiapark, das ist sozusagen mein Hausberg – bei schönem, oder besser: föhnigem Wetter sehe ich von dort aus die Alpen.
Im März liegt die Vegetation noch ermattet vom Winter etwas farblos da, der Schnee ist weg, so es welchen gab, die Bäume haben noch keine Blätter, ein paar einzelne Blümchen sprießen, Winterlinge, Schneeglöckchen, aber das Stadtbild bietet noch nicht allzu viel Grün – umso mehr fällt mir der Müll auf, der herumliegt – und zwar vor allem der Kleinstmüll in Form von Kippen, Kronkorken, Plastikteilen, aber auch der größere Müll im Unterholz, Flaschen aller Art… Das stört meinen ästhetischen Sinn, denn: Ich will es unbedingt schön haben! Normalerweise wäre das auch die Zeit für ein „Ramadama“ wie man auf bayerisch sagt, das aber coronabedingt ausfällt.
Ich fange an, Verbündete zu suchen, schreibe an die Kommunalreferentin, die für das Bürgermeisteramt kandidiert und dem Abfallwirtschaftsamt vorsteht, sie antwortet tatsächlich und verweist mich an einen Verein, Rehab Republic, der die Kleinstmüllthematik auf seiner Agenda hat – dort nehme ich an einem Zoom-Meeting teil, merke aber schnell, dass mir deren kreative Ideen nicht weit genug gehen. Außerdem will ich sofort etwas Konkretes, Handfestes tun. Ich fange an, den Müll aufzuheben – also selbst Hand anzulegen und aufzuräumen auf meinen Spaziergängen. Im Internet findet sich so allerhand an guten Initiativen, vom Kippenrecycling in Köln bis zu einer Petition zur Pfanderhebung für Kippen, ich trete der Facebook-Gruppe „Die Aufheber“ bei, in der Hoffnung, auf Leute zu stoßen, mit denen ich gemeinsam etwas wuppen könnte. Inzwischen organisiert Rehab Republic auch einen Müllfreitag, wie ich dort auf Aktuelles sehe.
Aus meinem Stadtteil ist niemand bei den Aufhebern dabei und nachdem ich durch meine häufigen Kommentare anfangs gleich zum „Rising Star“ im Facebook Ranking aufgestiegen bin, erlahmt mein Interesse dann doch ziemlich schnell, mangels Resonanz, bzw. sehe ich meine Aktivität nicht als Heimatpflege… wie es eine Frau aus der Community mir etwas zu patriotisch formuliert. Auch will ich nicht meine gesammelten Mülltrophäen im Internet posten. Das wäre zuviel der Ehre.
Nichtsdestotrotz mache ich bis heute mit dem Aufheben weiter und starte mit Handschuhen und Müllbeutel ausgestattet zu meinen urbanen Spaziergängen. Im Blog „Die Verborgene Sängerin“ schreibt Sela Miller darüber.
Das Müllsammeln ist naturgemäß uferlos und die Frage nach meiner Wirksamkeit stellt sich… einfach nur den Müll der anderen wegzuräumen, ändert nicht wirklich Wesentliches, die merken es vermutlich nicht mal, finden sie doch eh, dass es der Job der anderen ist, für Sauberkeit zu sorgen. Wenn sie überhaupt über ihre Handlungen nachdenken… Gleichzeitig ist der Müll nicht weg – nur weil ich ihn nicht mehr auf der Strasse liegen sehe! Augenwischerei!! Reine Oberflächenkosmetik.
Für das Päppeln eines vom Baureferat / Gartenbau übersehenen Gründreiecks am Straßenrand – vermutlich sollte hier Gras wachsen, es ist jedoch nur Erde mit einer Reifenspur darin, samt den unvermeidlichen Kippen, Taschentüchern, Plastikdeckeln, zerknüllten Zigarettenpackungen – finde ich eine Mitstreiterin – eine Freundin, die ein paar Strassen weiter auch im Viertel wohnt.
Wir nehmen uns des Dreiecks an, schütten Erde auf, setzen Buntnessel und Minze, säen Ringelblumen und werfen Bienenweidesamen aus an einem Sonntag Vormittag Anfang Mai.
Wir pflegen und hegen das Dreieck über den Sommer hinweg und der griechische Obstmann, der seinen Wagen dort gegenüber stehen hat, hilft mit, indem er seine Blumenwasserreste dort ausgießt – so wie überhaupt erstaunlich viele Leute das dann doch wahrnehmen und gut finden. Man kommt schnell ins Gespräch mit Passantinnen* sobald man im öffentlichen Raum wirkt. Kurz vor der Einwinterung tauschen meine Mitstreiterin und ich uns aus – sie meint, wir sollten vielleicht mal über eine Beschriftung nachdenken. Im wilden Assoziieren formuliere ich frei nach Peter Licht: „Wir akupunktieren den Boden“ – woraufhin sie mir den Hinweis auf den Künstler Marko Pogačnik schickt, der tatsächlich den Boden punktiert…
In der anschließenden Internet Recherche stelle ich fest, dass er im Team der Schule für Geomantie, namens Hagia Chora, ist. Als ich im Impressum nachsehe, wo diese Schule ihren Sitz hat, traue ich meinen Augen nicht: Ferdinand-Miller-Platz 2. Das ist der Platz, an dem ich wohne. Die Schule für Geomantie ist bei mir im Haus!!! Sagenhaft. Mit Christiane Fink, ihres Zeichens Landschaftsarchitektin, nehme ich Kontakt auf, und hoffe, bald auf einen der nächsten Spaziergänge mitgehen zu können.
Denn ich bin auf der Suche nach Verbündeten und nach einem guten Projekt, in das ich meine Energie hinein fließen lassen kann… denn auf Dauer kann ich mich zwar bei jedem Rundgang im Viertel über den herumliegenden Dreck empören, Müllbeutel damit füllen und an den Bezirksausschuss Vorschläge für Baumpflanzungen schicken, aber es geht mir viel zu langsam.
Aktuell denke ich gerade über eine kreative Botschaft an den wackeren Konsumenten der Jägermeisterfläschchen nach (ja ich nehme an, es ist ein Mann oder mehrere Männer), die wie Pilze den Vorgartenstreifen der Fachhochschule bei mir um die Ecke zieren… eines Abends habe ich dort schon einen 20Liter Müllsack voller kleiner grüner Fläschchen gesammelt und entsorgt – aber es sammelt sich immer wieder Neues… ein hoffnungsloser Fall. Vielleicht gelingt uns ein phantasievoller Kniff, damit umzugehen… Meine Mitstreiterin ist dabei!
Wenn ich mich frage, wo meine Energie wirksamer eingesetzt werden könnte und ich in meinem innerlichen Dialog mir selbst zurufe oder meine Überzeugung stärke, dass auch kleine Aktionen etwas bewirken, ich mich aber gleichzeitig lieber aufbauend mit etwas Positivem beschäftigen würde, als mit dem Abfall anderer Leute….
Ich könnte zum Beispiel das vorhandene Grün anders wahrnehmen und mich den vorhandenen Bäumen zuwenden und sie pflegen? Naturdialogisch im städtischen Raum unterwegs sein. Hier an meinem Platz stehen zwei Ahornbäume, deren Wurzelbereich etwas Pflege gebrauchen könnte – vom Rollsplitt befreit werden, mit mehr Erde bedecken, Bodendecker anpflanzen oder Bienenfutter, Inkarnatklee aussäen? Lauschen, was sie mir flüstern?
Es ist alles auch nur eine Frage der Zeit – spätestens sobald das Frühjahr kommt und ich meine Parzelle in Menzing wieder beackern kann, bin ich mit den Händen in der Erde und erfreue mich am Wachstum der Pflanzen. Beim Erdfest im Juni will ich auch mitmachen – es gibt so viele tolle Initiativen…
Vielleicht magst auch DU berichten vom naturbezogenen Tun in deinem unmittelbaren Umfeld – eine Einladung, zu handeln und dich mitzuteilen….

Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Fotos: Beate Zeller
Portrait: Ulrike Riede

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Eben ist noch ein weiteres Bild desGründreiecks in die Redaktionsmailbox geflattert, das dessen Erblühen wunderbar zeigt.