Waldränder
Eine Eröffnung und Anbahnung zum Jahresthema.
Waldränder sind Übergangszonen vom geschlossenen Wald zu unbewaldeten Flächen. Sie sind dort wo wilde Natur aufhört und Kulturland anfängt. Aber das stimmt natürlich schon lange nicht mehr. Denn “unser” Wald ist gepflegter, ökonomisch genutzter und menschlich definierter Raum.
Als frischgewählter Initiativkreis der Natur-Dialog Bewegung haben wir uns an einem eiskalten Februarwochenende in einem Selbstversorgerhaus bei Aarau getroffen. Dieses Pfadiheim steht, wie die meisten seiner Art, etwas ausserhalb des Dorfes an einem Waldrand, dem ein sonniger Spazierweg folgt mit vielen Möglichkeiten in den Wald einzutauchen oder aus ihm heraus zu treten. Da gibt es Sitzbänke und eine Feuerstelle, Wegweiser und vielerlei Tierspuren in der lichten Schneedecke.
Eines unserer Vorhaben an diesem Wochenende war es, ein Jahresthema zu finden, mit dem wir uns inhaltlich beschäftigen wollen und dass verschiedene Aktivitäten und Engagements der Natur-Dialog Bewegung in den kommenden Monaten begleiten kann. In unserem ersten Brainstorming und mit den eingegangenen Vorschlägen von Mitwirkenden tauchte immer wieder der Wald auf, mit ganz unterschiedlichen Aspekten.
Ein sogenannter Hudelwald. Das waren die Waldränder in den Anfängen der Agrarwirtschaften, keine klaren Grenzen, sondern Mischräume. Das versucht man heute in der ökologischen Waldpflege wieder einzurichten. (Foto: Hans-Peter Hufenus)
Eine weitere Aufgabe an diesem Wochenende war die Frage was jeder und jede von uns in der Natur-Dialog Bewegung bewirken möchte. In unserem Selbstverständnis sind uns dabei vielerlei Formen von Vernetzung und Aktivitäten zwischen einem Innen (Mitwirkende) und einem Aussen (diverse Zielgruppen) wichtig: Als Ansprechpartner sichtbar zu sein, Menschen die in unterschiedlichsten Kontexten mit Natur arbeiten einen Zugang zum Natur-Dialog Ansatz zu ermöglichen, für Anwenderinnen und Anwender natur-dialogische Forschung und inhaltlichen Austausch zu ermöglichen und somit den Natur-Dialog Ansatz in verschiedenen Fachwelten ganz konkret zu verknüpfen.
Und während uns all dies beschäftige, wir in der Umgebung streunten, am Feuer kochten und sich die unterschiedlichsten Handlungen aus den Räumen drinnen und draussen ergaben tauchte irgendwann der Begriff der Waldränder auf. Er scheint uns für unserer Anliegen als Bewegung aber auch für die konkrete natur-dialogische Begleitung von Menschen ein interessanter Raum. Mit seinen Qualitäten, konkreten Orten, Bewohner:innen und Besucher:innen an Waldrändern aber auch mit dem Begriff und Metaphern dazu wollen wir in den nächsten Monaten in Kontakt sein.
In der systemischen Naturtherapie und Natur-Dialog Beratung ist der Wald laut Astrid Habiba Kreszmeier so etwas wie die Allgemein-Praxis. Das hat viele gute Gründe, die man in verschiedenen Publikationen nachhören und nachlesen kann. I
In diesem Anwendungskontext sind Waldränder oftmals Tor, Schwelle, Ein- und Austrittsbereich, Übergang und Zwischenraum. Was in klassischen Beratungen vielleicht als Joyning oder Eröffnungsphase bekannt ist, geschieht in Natur-Dialog Prozessen mitunter am Waldrand. Wo wollen wir einsteigen? Was zeigt sich? Ist da ein Zögern, ein Prüfen, ein Ruf, ein Locken? Welchen Raum lasse ich hinter mir und worauf lasse ich mich ein? Wer schubst? Was zieht und wer gehört dazu? Diese und ähnliche Fragen können uns an Waldrändern begegnen.
Dort wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, in jener Zwischenzone die den Märchen, den Bauern, den Waldkindergärten, den Jägern, den Raumplanern, Waldbadegästen und vielen anderen menschlichen und mehr-als-menschlichen Waldnutzern bedeutsam ist.
So wollen wir uns dort im Rahmen von Netzwerk-Treffen am 19. und 20. August zum Austausch treffen, gemeinsam weiter forschen und lauschen: Wovon und womit sprechen Waldränder?
Waldränder sind vermeintlich klarer Grenzraum: licht und warm auf der einen Seite, dunkel und kühl auf der anderen. Auch der Geruch ist spürbar anders, der Boden, die Geräusche. Kumulation und Durchmischung. Sie laden ein zum Spiel, erzählen vom Verborgenen, dem Schützenden, der Neugierde und der Zivilisation. Von der Offenheit, dem Offensichtlichen und zweierlei Richtung. Für viele Menschen wirkt der Waldrand beruhigend und sie suchen bewusst diesen Platz am Rand, um die Weite zu genießen. Sie sagen, sie brauchen Licht und der Wald sei so dunkel und das Feld zu offen. Für andere stellt sich Erleichterung und Halt ein, ist das Tor erst einmal durchschritten
Und weil sich am Waldrand häufig Heckengewächse, stachelige Beeren und niedrigwüchsige Pflanzen finden ist die Sache mit dem Tor praktisch gesehen gar nicht so einfach und die Idee vom Waldrand eine sich ständig veränderten Momentaufnahme.
Wir wollen uns diesen Momentaufnahmen zuwenden. Dazu werden wir im Natur-Dialog Magazin mit verschiedenen Gesprächspartnern in Austausch gehen und freuen uns sehr über allerlei Mitsprechendes, über Zusendungen, über Wissen, Ahnungen und Staunen, über streunende Assoziationen und vielschichte Anregung, über Fotos und über Erfahrungen an Waldrändern. redaktion@natur-dialog.org
Sinha Weninger ist Naturtherapeutin, Dozentin für Sozialpädagogik, Mutter und verantwortlich für das Natur-Dialog Magazin. Weitere Infos unter www.weninger.info
Fotos: Christian Mulle, Hans-Peter Hufenus, Konstanze Thomas, Sabina Fischer, Sinha Weninger,
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Das Jahresthema hat mich sofort berührt – eine tolle Wahl. Bin entsprechend inspiriert und freue mich auf den Austausch mit euch an Wald- und anderen Rändern, Übergängen und Grenzgebieten. Es klingt an. Herzlichst, Kathrin