Zirkuläre Kooperation findet in Fülle statt
Anläßlich der jüngsten Publikation von Hans-Peter Hufenus: „URMENSCH FEUER KOCHEN. Die Esskultur der frühen Menschheit mit Rezepten für archaisches Kochen”, führte Michael Heim ein Gespräch mit dem Autor über ein naturdialogisches Verständnis von Nachhaltigkeit. Hier eine Essenz des verzweigten Gesprächs…
Der aktuell sehr populäre Begriff der Nachhaltigkeit stellt die Regenerationsfähigkeit der Ressourcen – der ökonomischen, ökologischen und sozialen Ressourcen – in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Wir bleiben dabei als Menschen, Organisationen und Unternehmen in der Haltung, dass wir uns in der sozialen und ökologischen Umwelt – und damit gerade auch der gegebenen Natur – für unseren eigenen (materiellen) Wohlstand bedienen dürfen. Die Regenerationsfähigkeit dient also dem Zweck, uns selbst und künftigen Generationen diese Selbstbedienung weiterhin zu ermöglichen. Man kann daher die Regenerationsfähigkeit als einen guten Deal, ein gutes Geschäft bezeichnen: Ein vernünftiges Maßhalten im Heute, um auch in Zukunft genug zu haben.
Der Autor Hans-Peter Hufenus und Michael Heim im Gespräch via Zoom.
Hans-Peter Hufenus schöpft in seinem Buch aus anderen Quellen. Er berichtet von einer zirkulären Weltwahrnehmung, die im Natur-Dialog erfahrbar – weil genetisch verankert – und an der Lebensweise indigener Völker weltweit sichtbar. Menschen gelangen in eine wechselseitige Verbundenheit mit der lebendigen Welt, in der sich Fülle und Dankbarkeit ausdrücken. In der zirkulären Weltwahrnehmung kann der Austausch mit der lebendigen Welt als ein aufeinander bezogenes Handeln, ein gegenseitiges Beschenken verstanden werden. Wenn wir uns aus dieser zirkulären Weltwahrnehmung heraus dem Begriff der Nachhaltigkeit nähern – dann rückt die Beziehung zur lebendigen Welt in den Mittelpunkt unserer Handlungen, und der Kontext weitet sich.
Plötzlich erinnern wir uns, dass es für unser Menschsein immer auch die Pflege der Beziehungen braucht. Neben der sozialen Welt können wir in unseren Beziehungen auch auf die mehr-als-menschliche Welt schauen, eine lebendige Welt, die z.B. von David Abram beschrieben wird – und uns fragen, wie wir diese Welt in ihrer Zirkularität einbeziehen können.
Menschsein ist immer an Beziehungen zur Mitwelt geknüpft
Zirkuläre Nachhaltigkeit kann also heißen, dass etwas in Kooperation geschieht mit jenem Lebendigen, zu dem wir in Kontakt und Austausch stehen. Dieser Austausch kann durchaus im Sinne eines Geschenkes verstanden werden.
In „Urmensch Feuer Kochen“ fragt Hans-Peter Hufenus, welche Opfergaben es in der Menschheits-Geschichte gab. Er weist darauf hin, dass Opfer Ausdruck für Dankbarkeit und Wohlbefinden in Zeiten der Fülle waren. Ein Wohlbefinden, das sich auch aus einer anderen Art der Nahrung gespeist hat. Hierbei handelte es sich um eine Reziprozität, die nicht unbedingt gleichzeitig vor sich gehen muss.
Opfergaben waren einst Ausdruck für Dankbarkeit und Wohlbefinden
Um in diesem Sinne ein Gleichgewicht herzustellen, geht es um ein Gefühl des Ausgleichs – in welches das empfundene Glücksgefühl einbezogen wird. Diese Auffassung unterscheidet sich sehr von der Berechnung des Ausgleichs.
Religiös eingebettete Opfergaben mit einer expliziten Bitte für oder gegen etwas entwickelten sich erst in späterer Zeit. Diese Opfer können also verstanden werden als Ausdruck einer Mangelerfahrung – und sie weisen darauf hin, dass sich die Lebensumstände der Menschen drastisch geändert hatten: Die Sesshaftigkeit hatte zu einer Einführung von Besitz geführt…
Viele Kulturen sind in einen Mangel gerutscht – dort wird das Motiv der Strafe dominant
Auch heute wird häufig aus einer Perspektive des Mangels reagiert. Viele Kulturen sind in der Menschheitsgeschichte bereits in einen Mangel gerutscht, und dort wird das Motiv der Strafe dominant – vielleicht sogar die Idee eines strafenden Gottes.
Wenn wir naturdialogisch aus einer Perspektive der Fülle schauen, dann ist Corona keine Strafe, sondern eine Botschaft, eine Antwort der Natur. Mit dieser Annahme kann man Corona als dialogische Reaktion auf eine Missbrauchssituation verstehen. In der auch viele Menschen an den Nebenwirkungen der Pandemiemaßnahmen, etwa der Verödung der Beziehungen leiden, und das wird in der öffentlichen Diskussion viel zu wenig beachtet.
Eine der ganz großen zirkulären Geschichten unseres Planeten ist die des Wassers. Die Erde ist zu 4/5 der Oberfläche mit Wasser bedeckt. Die Menge des Wassers bleibt zwar immer dieselbe, aber der Missbrauch des Wassers ist die Verschmutzung. Wir verschmutzen heute 10 Liter Wasser bei jeder Klospülung, egal wie politisch korrekt wir essen…
Wie man anhand dieses Globus im Hintergrund schön sehen kann, sind die größten Teile der Erde mit Wasser bedeckt…
“Eine der ganz großen zirkulären Geschichten unseres Planeten ist das Wasser.”
Hans-Peter Hufenus
Wenn wir naturdialogisch das Wasser als ein lebendiges Gegenüber nehmen, also z.B. im Sinne von Hartmut Rosa seine Unverfügbarkeit anerkennen – oder im Sinne der umbandistischen Tradition im Wasser auch ein wesenhaftes Gegenüber sehen – dann kommen wir zu der Idee, dass dieses lebendige Gegenüber reagiert, auf den Versuch der Ausbeutung.
Das Wasser reagiert auf den Versuch der Ausbeutung
Auch hier können wir unterschiedliche Perspektiven in der Nachhaltigkeits-Diskussion ausmachen: Die wissenschaftlichen Modelle setzen die große Anzahl der Menschen als gegeben voraus und verteilen das Verfügbare. Damit befinden wir uns in einer Mangelkultur, in der die Ressourcen rationiert werden müssen, mit allen Begleiterscheinungen wie Aggression, Angst, Missgunst,… vielleicht sogar Krieg, weil es nicht genug für alle hat.
Wenn wir ein Wohlfühl-Menschsein anstreben, das nicht in Angst lebt, nicht in Aggression und Verdrängungswettbewerben, sondern in Vertrauen, in Fülle, dann müssen wir schauen, wie viel Menschen es geben darf an den verschiedenen konkreten Orten dieser Erde… Dann ist uns daran gelegen, die Kooperation an konkreten Orten der Erde zu erhöhen!
Interessant in diesem Kontext ist auch, dass es in der aktuellen Corona-Pandemie viele Wassermetaphern gibt. Nicht nur, dass es sich um eine Tröpfcheninfektion handelt – wir reden zum Beispiel auch von Wellen, in denen sich das Infektionsgeschehen abspielt.
Aber Corona ist nicht das größte Anliegen der Natur, das Klimathema scheint aktuell viel dominanter. Es gibt all die Berichte über z.B. das Auftauen der Permaböden in Sibirien mit der Bedrohung durch die Methan-Emissionen, und die Dringlichkeit dieses großen Anliegens ist weiterhin im öffentlichen Bewusstsein zu wenig präsent.
Mehr zum guten menschlichen Zusammenleben, das in Erinnerung an den heilen Raum der Menschheitsgeschichte und in Rückbesinnung auf ancestrale Weisheit möglich ist, ist in URMENSCH FEUER KOCHEN sehr anschaulich, reich und delikat nachzulesen.
Das Buch ist 2021 im at Verlag erschienen.
Im Rahmen des chole-festival am 20.-21. August 2021 in Beatenberg (CH) wird URMENSCH FEUER KOCHEN als begehbares Buch mit 17 Stationen in der Landschaft vorgestellt.
Gelegenheit zum Austausch mit Hans-Peter Hufenus besteht ausserdem beim Forum “Brachen-Dialoge” von nature&healing am 18. – 19. September in Zürich und Stein (AR).
Michael Heim engagiert sich als Organisationsberater und Coach rund um das Thema “Nachhaltige Lebensführung”. Infos unter www.nature-and-progress.de
Fotos: Hans-Peter Hufenus, Michael Heim
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