Rand-Dialoge und darüber hinaus: Das Waldrand Netzwerktreffen Wien-Umgebung im Gespräch
Andrea Schalk und Franz Schweinberger sind Mitwirkende der Natur-Dialog Bewegung und luden zum diesjährigen Netzwerktreffen in Wien-Umgebung an den Waldrand ein. Wir teilen Ausschnitte aus ihrem Gespräch über das Erfahrene.
Andrea: Waldränder. Das Thema hatte mich sofort gerufen, ohne dass ich wusste, um was es bei dieser Veranstaltung dann genau gehen sollte.
Franz: Es ist ja auch ein ganz besonderer Raum: im «Dazwischen». So etwas begeistert mich sowieso immer. Ausserdem fand das diesjährige Natur-Dialog Netzwerktreffen das erste Mal in dieser Form – draussen, im und am «Waldrand» – statt.
Andrea: Im Vorfeld hatte sich gezeigt, dass wir beide recht unterschiedliche Vorstellungen von unserem ersten gemeinsamen «Netzwerktreffen» hatten. Dein Bild beinhaltete vor allem gut essen, trinken und feiern… sozusagen das volle Lustprinzip. Mein Bild war eher geprägt vom einfachen, natur-dialogischen Forschungsraum: der Idee, mit wenig Material und Vorgaben hinaus zu gehen, um dort gemeinsam zu erkunden.
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Andrea: Auf unserer Suche nach der Feuerstelle zog es dich ja zuerst hinaus ins offene, hohe Gras und mich hinein, in den schützenden Wald. Spannend dann, als wir diese rote, moosbewachsene Feuerstelle entdeckten, die sich irgendwie genau dazwischen befand, also bereits in der Randzone.
Franz: Du warst ja im Zweifel, ob wir diese alte Feuerstelle, die längst von rotem Moos überwachsen war, neu befeuern sollen. Trotzdem haben wir dann gerade dort unser Feuer gemacht.
Andrea: Natürlich tauchte die Frage auf, ob es stimmig wäre, sie wieder zu beleben oder ob wir eine eigene, neue finden und entstehen lassen sollten. Schön fand ich dann unsere gemeinsame Entscheidung, beides zu verbinden: So wurde diese Feuerstelle von uns zuerst entdeckt, dann wieder erweckt und schließlich in wunderbarer Weise zu unserer ur-eigenen Gastgeberin für diesen (Zeit-)Raum.
Franz: Waldrand ist plötzlich anders, wenn man in ihn eintaucht. Er erscheint als etwas sehr Vielschichtiges mit zahlreichen ganz unterschiedlichen Zonen. Beim Erzählen nach dem Streunen tauchten die Fragen auf:
Wo hört Wald auf? Wo beginnt die offene Landschaft? Also die Frage nach der klaren Grenze. Wie weit kann man gehen? Wo beginnt das Unbekannte? Wo endet das Vertraute? Zuviel oder zu wenig Schutz? Zuviel oder zu wenig Freiheit? Braucht es mehr Schutz? Mehr Freiheit? Es könnte einem fast schwindelig werden… doch sehr spannend diese Fragen.
Andrea: Dazwischen, der Zwischenraum, Zwischenwelten, Rand(zonen). Wo beginnt der Rand? Wo oder was ist drinnen und wo oder was draussen? Immer wieder diese Frage nach den Gegensätzen: innen – aussen, Himmel – Erde,… Im Nachklingen frage ich mich, ob es wirklich um das Entweder-oder geht. Warum nicht um das Sowohl-als-auch? Aber Rand bedeutet auch Grenze, und diese trennt… also doch wieder die Polaritäten… die Rand-Zonen, auch die Haut wurde als Grenze und Randzone erwähnt.
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Andrea: Dich hat ja die schmale Randzone gerufen und ich erinnere mich auch an dein Bedürfnis, einen schönen Platz, der dich so berührt hat, jemandem zu zeigen, den dringenden Wunsch, ihn mit jemandem zu teilen.
Franz: Ja, das ist bei mir aufgetaucht… möglicherweise ist das auch ein ganz generelles und ganz spezielles «Waldrand-Thema». 😉
Franz: Du hast ja vom schnellen Wechsel der schwerpunktmässigen Sinneswahrnehmung, vom akustischen Hören im Wald zum visuellen Sehen in offenerer Landschaft gesprochen, die auch von starken Schwankungen im Temperaturempfinden begleitet waren. Man könnte fast von einem Wechselbad sinnlicher Eindrücke sprechen.
Andrea: Sinneseindrücke waren tatsächlich stark im Fokus meiner Wahrnehmung: zu Beginn das Sehen und dann der Wechsel hin zum Hören, immer wieder den Fokus zu verändern, bis es nicht mehr zu entscheiden war, ob meine Ohren nun den Augen folgten oder umgekehrt: der Wahrnehmungsfokus ging dann vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch.
Franz: Ah, das klingt interessant. Ich hätte wohl auch mehr, so wie du, hinein- und herausschlängeln sollen…
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Franz: Bei meinem Streunen fand ich ja abgeladene Ziegel – also Bauschutt. Auch alte Häuser verstorbener Schnecken und Eierschalen von aus dem Nest geworfenen geschlüpften Vögel. Also allerhand Dinge, die nicht mehr gebraucht werden, werden anscheinend vom Waldrand geschluckt oder im Verborgenen dort abgeladen. Auch die Frage um Leben und Tod taucht da auf. Du bist Tierspuren gefolgt, die dich schnurstracks in so eine Art Tierfriedhof geführt haben. Den Verwesungsgeruch hast du eindrücklich beschrieben. Meine Vermutung ist ja, dass Jäger dort unbeobachtet ihre Beute zerlegen und die Tierspuren darauf deuten, dass die Räuber aus dem Tierreich sich am hinterlassenen Rest gütlich tun.
Andrea: Da war dann tatsächlich der Geruchssinn so stark im Vordergrund, dass ich anfangs noch forschend schauen wollte, mit einer fast kindlichen Neugier, welches Tierskelett wohl zerlegt in viele Einzelteile hier verstreut lag, aber das Sehen dann vom Riechen überlagert wurde – bis es schließlich eine Wohltat war, aus diesem Geruchsfeld auch wieder hinauszutreten, über den Rand zu gehen, und oben am Feldrand tief durchzuatmen.
Franz: Brrr, da bist du in eine richtige Gruselgeschichte hineingeraten. Mir fällt gerade ein: Eine Teilnehmerin bemerkte, dass es keinen roten Faden zu geben schien bei all den unterschiedlichen Erzählungen, die wir vom Streunen mitgebracht hatten. Ich war selbst nicht mehr sicher, ob die tatsächlich hier am selben Ort passiert sein konnten. Ja gut, wenn es um Grenzen und um Schutz geht, wird es schnell persönlich und dementsprechend unterschiedlich kann das Erlebte offenbar auch sein.
Anlässlich des Vollmondes fiel einmal der Satz: «wegen zu viel Himmel nicht schlafen können»
Andrea: Mir ist auch aufgefallen, dass das Schutzbedürfnis in ganz verschiedene Richtungen ging und Schutz ganz unterschiedlich erlebt wurde: Das Waldinnere «als Schutzraum», die Plane «als Schutz von unten», bis hin zur Frage nach der «Schutzgrenze» und in Bezug auf das Spannen der Plane «als Schutz von oben» «warum sich die Menschen vor dem Himmel schützen»? Anlässlich des Vollmondes fiel einmal der Satz: «wegen zu viel Himmel nicht schlafen können» Dazu fällt mir ein: Die Gallier hatten ja auch Angst, der Himmel könne ihnen auf den Kopf fallen…
Franz: Nachdem sie ein Becherchen zuviel von ihrem Zaubertrank erwischt hatten?
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Franz: Am Morgen hat sich dann noch eine Forscherin aus dem Tierreich, eine Nacktschnecke, zu uns gesellt. Die war aber eher an Rändern menschengemachter Dinge – wie Kaffeebecherrändern – interessiert. Es war schon lustig anzusehen, wie man aus den unkoordinierten Bewegungen ihrer Stielaugen unschwer zu schliessen vermochte, wie fordernd Ränder sein können, wenn man die größeren Zusammenhänge rundherum – den Sinn und Aufbau einer Kaffeetasse – noch nicht kennt.
Franz: Unser Waldrand war insgesamt sehr stachelig, würde ich behaupten. Viel dorniges Gestrüpp, Mücken, bei mir gleich zu Beginn der Bienenstich. Trotzdem gab es da dazwischen einige ganz besonders einladende, weiche, sehr kuschelige Stellen.
Andrea: Stachelig meinst du…? Stimmt, es gab ja tatsächlich ein Waldstück mit Akazien. Wild und verwachsen erschien mir dieser Raum. Ein Ort der Gegensätze und ein Wechselspiel der Gefühle und Stimmungen: Licht und Schatten, innen und außen, hell und dunkel, Sonne und Mond, heiß und kalt, weich und stachelig, alt und neu, Altes abladen und Neues entstehen lassen, Mensch und Tier…
Franz: Tierbegegnungen! Praktisch alle in der Gruppe berichteten von Tierbegegnungen. Ich vermute ja, die Tiere hatten auch recht eindrückliche Menschenbegegnungen. Es war sicher auch für die Tiere dieses Ortes etwas absolut Neues, Menschen zu begegnen, die streunen und am Waldrand schlafen. Die erzählen sich wahrscheinlich noch heute davon. Die Schilderung einer Teilnehmerin gefiel mir ganz besonders: Bei einem unvermittelten Aufeinandertreffen sind ein Reh und die Teilnehmerin völlig erschreckt voneinander weggaloppiert. Nach einer erstaunlich schnellen, gegenseitigen Phase der Beruhigung ist dann plötzlich die Frage aufgetaucht: Warum, um Himmels willen, können zwei Wesen voreinander so viel Angst haben? Und die Frage tauchte auf, wie nahe man einander kommen darf.
Andrea: Hmm…
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Franz: Meinst du, wir haben etwas am Waldrand gelassen?
Andrea: Ich denke, wir haben tatsächlich etwas dort gelassen, auch wenn wir es vielleicht noch nicht erkennen oder benennen können. Wie die Schnecken ihre Häuser haben wohl auch wir etwas da gelassen… zumindest unsere Spuren auf der Erde.
Andrea: Erinnerst du dich an die große Müdigkeit am Tag danach, die wir beide unabhängig voneinander erlebt hatten? Die hat in mir weitere Fragen aufgeworfen und noch habe ich keine klaren Antworten gefunden…
Franz: Meinst du, wir sollten wieder an den Waldrand…?
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Andrea Schalk ist Bewegungstherapeutin, Perkussionistin, DJane, Kräuterkundige und natur-dialogische Begleiterin. Weitere Infos unter: www.groovemove.at
Franz Schweinberger ist Landwirt und Bio-Kontrolleur und schreibt im Blog Humus&Co
Fotos: Andrea Schalk und Franz Schweinberger
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