Bob, Agnes, Brit, Tina, …
Symbiocene, Symbio(s)cene, Symbiose, Sympoiese, … sehr Sympathisches ist mir begegnet.
People-Nature-Future
Bob ist neben Pupi, Jakob, Brit, Liv, Karin, Agnes und Momodou Toucouleur, einer der Charaktere, die auf den Bildern des finnisch-norwegischen Künstlerinnenduos Riitta Ikonen und Karoline Hjorth als lebendige Skulptur mit und aus Naturmaterialien zu sehen sind. Auf dem Bild # Bob I sieht man ihn von der Seite im Kiefernadelkleid im Wald sitzen, es rührt an, das zu sehen.
Es wirkt, als wolle er auf diese Art und Weise die Verbindung zu seiner natürlichen Umgebung aufnehmen, sich ganz nahe fühlen, in die Materialien einhüllen und sich so vollständig wie möglich einbetten. Und, wer weiß, was geschieht? Baut sich ein Vogel ein Nest in seinem Kleid, oder auf seinem Kopfputz, wenn er nur lang genug sitzen bleibt? Es sind herrlich skurrile Konstellationen, die berühren, die Betrachterin direkt ansprechen.
Eyes as Big as Plates # Agnes II (Norway 2011) © Karoline Hjorth & Riitta Ikonen
Meist schauen die Senior:innen aus dem Bild heraus, gehen in direkten Blickkontakt, und ganz nebenbei ist ihre Aufmachung alles andere als gewöhnlich. Man muss schon genauer hinschauen, um wahrzunehmen, wie sich diese menschlichen Skulpturen zusammensetzen. Wunderbar ist es auch, Agnes als kleine Gestalt mit windschnittigem Kopfputz im Kontext der felsigen Küstenlandschaft Norwegens zu sehen, das Foto ist untertitelt mit # Agnes I. Agnes ist Norwegens älteste Fallschirmspringerin, ihr letzter Sprung war mit 91 Jahren. Dieses Portrait von ihr ist eine Hommage an den Nordwind, von dem oft in Nordischen Volksmärchen erzählt wird.
People-Nature-Future
PEOPLE – NATURE – FUTURE steht in großen Lettern auf der Schaufensterscheibe des kleinen rechteckigen hellen Galerieraums, an dessen Ende Bob aus dem Bild schaut… und „Culturesphere“ heißt die Galerie, in der aktuell acht großformatige Fotoarbeiten von Riitta Ikonen und Karoline Hjorth ausgestellt sind, sowie etliche kleinere, die den Arbeitsprozess dokumentieren. Die beiden Frauen haben in dem seit zehn Jahren laufenden Projekt „Eyes as Big as Plates“ viele Länder bereist:
In Norwegen, Finnland, Frankreich, USA, Großbritannien, Island, auf den Färöer Inseln, Schweden, Südkorea, Tschechien, Japan, Senegal, den Äußeren Hebriden, Tasmanien und Grönland haben sie vor allem Senior:innen aus unterschiedlichsten Berufsgruppen in Landschaften gesetzt.
Ältere Menschen deshalb, weil sie anfangs mit Figuren aus der Nordischen Folklore spielen wollten, und diese noch mehr über die Mythen wüssten, so erklärt es die Galeristin Ingrid Rügemer, die ich in Culturesphere zum Gespräch getroffen habe.
Aus dieser Anfangsidee der Künstlerinnen wurde dann ein umfassenderes Projekt, das die Beziehung des modernen Menschen zu seiner natürlichen Umgebung untersucht. Genau das richtige Kunstprojekt, um die neue Initiative Symbio(s)cene vorzustellen, unter deren Dach, neben anderen Unternehmungen wie ein Blog und Hochschulprojekte, “PEOPLE-NATURE-FUTURE” als erste Ausstellung läuft.
Die Cultursphere GmbH wurde 2019 von Ingrid Rügemer und Oliver Szasz gegründet, mit dem Ziel, künstlerische und kreative Ansätze in Unternehmen hineinzutragen und dabei auch für Künstler:innen eine Plattform zu schaffen. Oliver Szasz leitet an der Hochschule Macromedia den Design Management Master Studiengang, sein Fokus liegt auf Designprozessen und Innovationsmethoden. Ingrid Rügemers Schwerpunkt liegt im dreidimensionalen Bereich (Master Keramikdesign), sie interessiert sich vor allem für die Hand-Kopf-Beziehung und den Einfluss der Materialität auf die Gedankenwelt. Die Biologin Tina Heger wiederum spürte ein Defizit in der Kommunikation ihrer Forschungsergebnisse für eine breitere Bevölkerung.
Mit der Frage, wie Design helfen könnte, konkrete Zukunftsvisionen zu entwickeln, die über das Anthropozän hinausgehen, schlossen sie sich als Trio zur Initiative „Symbio(s)cene“ zusammen. Das „s“ zwischen symbio und cene steht für mögliche Szenarien, alles das, was vorstellbar ist, als Möglichkeitsraum.
“Symbio(s)cene” ist auch das Wort, an dem ich hängen bleibe, als ich in der unmittelbaren Nachbarschaft zu Fuß unterwegs, in die Auslage schaue. So wie mich die Fotos an Motive des Mythenspiels aus dem naturtherapeutischen Handwerkskoffer erinnern….
Die Recherche ergibt, dass der englische Begriff „Symbiocene“ 2011 erstmals von Glenn Albrecht in Umlauf gebracht wurde, ein australischer Philosoph und Umweltaktivist, sowie emeritierter Professor für Nachhaltigkeit an der Murdoch University in Westaustralien.
“The term, ‘Symbiocene’, is from ‘symbiosis’ which is derived from the Greek sumbiosis (companionship), sumbion (to live together) sumbios (living together), bios (life) and cene (period); Symbiosis operates at micro –meso – macro levels. I wanted to use the profoundly important concept of symbiosis as the basis for what I think will have to be the next period of Earth history.”
In seiner letzten Publikation „Earth Emotions. New Words for a new world“ (2019) schreibt er über die enge Verbindung zwischen dem Zustand der Erde und unseren eigenen mentalen und emotionalen Zuständen. Wir sind zutiefst eingebettet in unsere Beziehung zur Natur und assoziieren positive und negative Emotionen damit. Da wir in der westlichen Welt dafür keine Worte haben, bringt er neue Begriffe ins Spiel, um den Verlust von Landschaften und den Kummer darüber zu artikulieren. Den eher negativ geprägten Wörtern, die diesen Verlust versuchen zu beschreiben, wie z.B. „solastalgia“, setzt er positive Begrifflichkeiten gegenüber. Symbiozän wäre dann nach seiner Definition die positiv konnotierte Ära nach dem Anthropozän. Nach dem verändernden, allumfassenden und überaus dominanten Zugriff der menschlichen Spezies auf die Welt, würde also bestenfalls nach seiner Vision eine lebenswerte Zukunft folgen, die im guten Miteinander mit allen anderen Wesen auf diesem Planeten in Kollaboration geschieht.
People-Nature-Future
Flankierend zur Ausstellung „PEOPLE – NATURE – FUTURE“, die bis zum 23. Januar 2022 in der Horemansstraße 30 in München (Neuhausen) zu sehen ist, gibt es eine Gesprächsreihe mit Talks aus unterschiedlichsten Perspektiven, wenn möglich, sind auch die beiden Künstlerinnen online dazugeschaltet.
Am Mittwoch, 15.12.2021, 18:00 – 19:00, spricht Dr. Uta Eser, Biologin und Umweltethikerin, über „Dialogue with Nature. The transformative potential of non-instrumental relationships with Nature“. Im Gegensatz zu den anderen Vorträgen via Zoom, die aufgezeichnet werden und später online zur Verfügung stehen, wird dieser Beitrag nur live in Echtzeit zu verfolgen sein.
Danach gefragt, wovon sie träumt, spricht Ingrid Rügemer vom Wunsch danach, die Menschen würden ihren Horizont über die eigene Haut, die eigene Familie, den eigenen Bekannten- und Freundeskreis erweitern – ein stärkeres Wir-Gefühl entwickeln und sich als verbunden mit allem begreifen.
Und wenn sie als Designerin etwas gestaltet, fängt es auch immer mit einer Traumvorstellung an…
Weniger Dystopie, mehr Hoffnung, mehr Vertrauen, und Bewusstsein über die ständige Wechselwirkung und das Ko-Kreieren des Lebendigen, das lerne ich vom NaturDialogischen und dem Sympoietischen.
Im Band „Earth Wind Fire Water“, der zur gleichnamigen Ausstellung in der Galleri F 15 im norwegischen Moss erschienen ist, wo die skulpturalen Porträts von Ikonen und Hjorth davor zu sehen waren, schreibt der Schmuckdesigner Nicolas Cheng davon, dass er das Material anders mitsprechen lässt als es üblicherweise gehandhabt wird – vom Objekt zum Subjekt, zum Gegenüber, das antwortet, und er hebt in seinem Essay explizit die Werke der beiden Fotografinnen hervor:
„Durch ihre Arbeiten schaffen diese Künstlerinnen einen sympoietischen Dialog“….
© Dirk Allgaier, Verleger arnoldsche Art Publishers (links: Riitta Ikonen, rechts: Karolina Hjorth)
We need to learn to see not just with Western eyes but with Islamic eyes and Inuit eyes, not just with human eyes but with golden-cheeked warbler eyes, coho salmon eyes, and polar bear eyes, and not even just with eyes at all but with the wild, barely articulate being of clouds and seas and rocks and trees and stars.
ROY SCRANTON
zitiert im Ted Talk der beiden Künstlerinnen “Nature, folklore and serendipitous photo collaborations” – worth seeing it! Ebenso, wie sich durch die zahlreichen originellen Portraits zu klicken: https://eyesasbigasplates.com/list-of-works/

Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Portraitfoto: Franz Kimmel
Titelbild: People-Nature-Future (c) Culturesphere

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