Einblicke in 24 Stunden Jahresversammlung
Die Frage, wo etwas beginnt, ist ja recht schwierig zu beantworten. Für mich beginnt die Jahresversammlung zwei Tage bevor sie stattfindet. Mandy schreibt in den Chat des Initiativkreises, dass sie in Norddeutschland festsitzt. Stürme fegen über das Land. Kein Zug fährt. Sie schafft es nicht, rechtzeitig bei uns zu sein. Dass es andere auch nicht schaffen, erfahre ich zum Glück erst, als ich schon am Rosenhof bin und auf einem Stuhl sitze. DJ Andrea ist krank, die unermüdlich wirkende Initiativkreislerin Sinha ist krank, Habiba, die wir für eine atmosphärische Lesung aus den Natur-Dialogen gewinnen konnten, ist krank, Cito, der für uns fotografieren wollte, krank… Im ausgedünnten Initiativkreis sitze ich mit Konstanze, Christian und Michael beim Kaffee in der Buschenschank des Rosenhofs und möchte am liebsten gleich einen Schluck aus der Schnapsflasche nehmen, die ich mitgebracht habe für die Party am Abend.
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Und dann stehen wir ums Feuer: 13 Menschen. Und es fühlt sich vom ersten Moment an einfach gut an, Teil dieser Runde zu sein. In bekannte und unbekannte Gesichter von nah und fern Angereisten zu schauen, freundlich, interessiert, vorfreudig. Mitdenken – mitwirken – mitfeiern. Das Motto der Jahresversammlung webt sich ganz von selbst ins gemeinsame Tun. Wir spazieren entlang eines Rückblicks durchs vergangene Jahr, machen Halt an verschiedenen Stationen, erzählen uns von dem, was wir bewegt haben, von dem, was uns bewegt hat: Von den Waldrändern, die an der Retraite des Initiativkreises aufgetaucht sind und sich gleich als Jahresthema manifestierten, den Netzwerktreffen an und im Beisein von Waldrändern in West und Ost, den vielen Beiträgen im Magazin, dem Erscheinen der für uns wichtigen Publikationen Urmensch, Feuer, Kochen von Cito und der Natur-Dialoge von Habiba.
Die vielen Wege und Beziehungen der “Natur-Dialoge” . (Foto: Michael Heim)
Habibas “Natur-Dialoge. Der sympoietische Ansatz in Therapie, Beratung und Pädagogik” ist gleichzeitig mit der Natur-Dialog Bewegung entstanden und ist nun wichtiger Bezugspunkt für naturdialogisches Wirken in den unterschiedlichsten Berufsfeldern. Aus den Perspektiven der anwesenden Mitwirkenden beschäftigten wir uns mit den Wegen, die das Buch von unseren Standpunkten und Standorten aus genommen hat. Wie haben die “Natur-Dialoge” mit ihren Umgebungen gesprochen? Welche Beziehungen sind sie eingegangen? Wo haben sie Türen geöffnet? Wo trafen sie auf Hindernisse? Fazit: Das Buch war trotz seines noch jungen Lebens bereits in ziemlich unterschiedlichen Räumen und Szenen unterwegs, wechselte Hände, wurde verschickt und verschenkt, vorgelesen, geschmuggelt, verschlungen und ausgespuckt, hat Raum genommen in Konzepten, Rezensionen, Masterarbeiten, Blogs, Galerien, Gesprächen, Lehrgängen und Vorlesungen, ist Beziehungen eingegangen mit Streunerinnen, Katzenliebhabern und Nachttischen und wartet mancherorts noch geduldig darauf, gelesen oder verdaut zu werden.
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In welche Kamera muss ich schauen, damit ich auch auf dem Bildschirm der Mitwirkenden zu Hause gesehen werde? Wenn möglich sogar von vorne? Und, von wo und wie laut sprechen, damit es alle hören? Prägende Fragen für unseren offiziellen Versammlungsteil, in dem wir wie jeder Verein durch die Traktanden gingen und versuchten, unsere Aufmerksamkeit zu hybridisieren. Trotz oder dank des Chaos, das uns die kaum überblickbare Situation bescherte, schafften wir es, die Traktanden durchzukauen. Das Highlight: Wir haben einen frisch durchgemischten Initiativkreis, in dem von Kunst- und Kulturschaffen über Pädagogik, Beratung und Begleitung viele berufliche Hintergründe vertreten sind, und in dem Menschen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich zusammenkommen. Sinha, Christian, Mandy, Andrea, Josef und Angela, die sich in der Nacht noch hineingeträumt hat, sind unser neuer Initiativkreis.
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Über das Fondue am Feuer und die Party danach gibt es hier nur zu sagen, dass es gemeinsam bewegt und ausgelassen war – alles Weitere gehört der Erinnerung der Anwesenden 😉 Klar für mich ist: Die Party sollte unbedingt fester Bestandteil der Jahresversammlung werden! Um trotzdem etwas zu teilen, hier ein paar Songs aus unserem gemeinsamen Tanz.
Aufstellungsrunde mit Jeannine als Teil des Open Space vom Sonntag. (Foto: Michael Heim)
Der Open Space am Sonntag bescherte spannende Themen und Bedauern, dass nicht alle Workshops besucht werden konnten. Meine Reise durch den Open Space begann mit einer von Jeannine angeleiteten Kollektivaufstellung zur Leitfrage: Was braucht es, damit sich Menschen, die natur-dialogisch im weiteren Sinn arbeiten, in unsere Bewegung eingeladen fühlen? Wir stellten auf den Purpose/Sinn, den Initiativkreis, die Mitwirkenden, ein aussenstehendes Gegenüber, das Feuer, die Erde, einen Joker, der später für ein Hindernis eingesetzt wurde. Die Aufstellung ergab Hinweise, was für die Bewegung jetzt wichtig sein könnte. Hier ein paar Einblicke: Der Sinn entpuppte sich als äusserst freiheitsliebend und definitionsscheu. Für die Mitwirkenden war das Feuer oder besser, viele Feuer, die wieder einen grösseren Kreis bilden, ein zentrales Element. Wenn die Kreise zu gross wurden, zeigte sich Überforderung. Ein Kreis mit Feuer, Erde, den Mitwirkenden, dem Initiativkreis und dem aussenstehenden Gegenüber schien gut überblickbar. In der Auswertung fanden wir das Bedürfnis zentral, gemeinsam Feuer zu hüten, Gäste einzuladen, sich mit dem Handfesten zu verbinden, gemeinsam in Naturräumen unterwegs zu sein. Und, für den Prozess war es wichtig, etwas zu Boden zu bringen, damit sich Weiteres zeigen konnte, achtsam zu sein in Bezug auf die nächsten Schritte und immer wieder zu fragen, was im Moment wichtig ist und was erst danach kommt.
Kochen und Pflanzenkohle herstellen mit Christian. (Foto: Beate Zeller)
Während eine Gruppe um Tania der Frage nachspürte, welche Bedeutung natur-dialogisches Wirken für jede Einzelne in der nächsten Zeit haben könnte, besuchte ich den Pyrolyse-Kochworkshop von Christian. Dort fand sich auch Konstanzes Gruppe, die der Frage nach naturdialogischer Fundierung eines neuen Gruppendynamik-Verständnisses nachging. Der Pyrolyseofen band die Aufmerksamkeit der ihn Umgebenden, die miterlebten, wie in einem nachhaltigen Kochvorgang sowohl ein leckeres Irish Stew, als auch wertvolle Pflanzenkohle entstand. Christian würzte den vielschichtigen Kochvorgang mit Einschüben zu kulturhistorischen, technischen und projektbezogenen Einblicken in die Welt der Pflanzenkohle. Als das Feuer im Ofen vom Wind ausgepustet wurde, wir die Kohle mit Wasser gelöscht und probiert hatten, ob sie geruchs- und geschmacksneutral war, die Mitwirkenden sich um den Tisch zum Mittagessen sammelten, frischte der Wind auf und erinnerte daran, dass es Zeit war, aufzubrechen und den Weg nach Hause anzutreten. Beglückt und bereichert war ich auf dem Heimweg, im Bewusstsein darum, dass die Mitwirkenden der Natur-Dialog Bewegung an vielen verschiedenen Orten Feuer hüten und sich daraus wieder ein grösserer Kreis ergibt.
P.S.: Im Sinne von Mitdenken – Mitwirken – Mitfeiern: In den Kommentaren unten gibt es die Möglichkeit, weitere Perspektiven als Bild, Text, Audio und Video einzubinden.
Sabina Fischer ist Forscherin und Prozessbegleiterin, fasziniert von unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Welt und den Horizonten, die sich durch Perspektivenwechsel erschliessen. Weitere Infos
Fotos: Michael Heim und Beate Zeller
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Diese Jahresversammlung mitzuorganisieren war mit viel Vorfreude verbunden. Und irgendwie habe ich diese dann auch bis an mein “Krankenbett” gespürt…inklusive Tanz, Feuer und Vielstimmigkeit. Diese von mir vermutete Stimmung jedoch über ein zoom, mit meinem “Heineinschauen” und “Zuhören” zu “betreten” war ziemlich schräg. Ich habe mich sehr als Störfaktor erlebt und dies hat mir einmal mehr wichtige Unterschiede zwischen analoger und digitaler Zusammenkunft deutlich gemacht. Ich freue mich auf dieses Initiativjahr und dass sich die Bedeutung der Feuer um die es sich treffen und einladen lässt so kraftvoll gezeigt habt. Unterwegs in Naturräumen und gemeinsam etwas zu Boden bringen. (Boden 105 ist übrigens unsere Vereinsadresse 😉
Danke für den Bericht von der Jahresversammlung, schön zu lesen, das habe ich auch so erfahren, sehr bereichernd und nährend!
In der Gruppe um Tania haben wir uns der Frage gewidmet, wie das NaturDialogische zukünftig mehr integriert werden kann in den Alltag und ob es Projekte gibt, die ins Leben kommen wollen. Mein Spaziergang hinunter zur Sitter mit bewußtem Schwellenübertritt und dieser Frage, wie ich das Naturdialogische mehr in mein Leben integrieren kann, war einfach nur schön! Wie als würde alles mich einladen und sagen, es ist alles da, jederzeit, ich kann immer in Verbindung sein, wenn ich das möchte. ..
Danke an den bisherigen Initiativkreis für das Engagement und die Gastgeberschaft an dem Wochenende!
Danke an diesen wunderbaren Ort, den Rosenhof, und an all diejenigen, die den Ort hüten.
Eine Formulierung von Franz im Rahmen unseres Gesprächs über das Wirken von Habibas Publikation “Natur-Dialoge” möchte ich noch teilen, da ich sie so wunderbar finde: Das Buch sei wie “die Küstenlinie im offenen Meer des Naturdialogs”…
Herzlichen Dank für diesen in Sprache und Bildern so lebendigen Bericht des Jahrestreffens und herzlichen Dank auch hier allen, die sich rund um natur-dialogische Welt-Beziehungen vernetzend engagieren. Persönlich freut es mich sehr, dass – wie du schreibst – unsere Bücher in verschiedenen gesellschaftlichen Räumen in Dialoge verwickelt werden;-)
Aktuell beschäftigen mich auch handfest politische Themen: zum Beispiel, dass eine lediglich als Instrument und Ware gedachte Topologie und Landschaft samt ihren vermarktbaren Ressourcen seit jeher auch die Geschichten von Kriegen bestimmt hat. Auch hier spricht Landschaft mit: nur eben ganz anders.
Herzliches von Habiba