Komm ins kalte Wasser, liebe Schwester
Tania Hoesli hat eben ihre sehr lesenswerte Masterarbeit über Resonanz abgeschlossen: Ein guter Anlass, einige Gedanken daraus und die Autorin vorzustellen…
Im Natur-Dialog Magazin wollen wir immer wieder auch Mitwirkende der Bewegung vorstellen. Dies soll auch als Einladung verstanden werden. Ins Gespräch kommen, einander kennen lernen und solch persönliche Begegnungen mit anderen teilen. Herzlich Willkommen.
Es ist/war* tatsächlich möglich, „Ökologie und Spiritualität“ zu studieren, und zwar in England, genauer gesagt in Dartington / Devon, ein Ort in der Nähe von Totnes, einer der Vorreiter der Transition-Town-Initiative.
Tania (mit Betonung auf dem „i“) ist seit kurzem Mitglied der Natur-Dialog-Bewegung, sie hat am Schumacher College in der Grafschaft Devon von 2017 bis 2021 diesen Postgraduiertenstudiengang abgeschlossen und nun vor kurzem ihre Masterarbeit mit dem Titel „Resonance – A Symphony of Relationships with the World“ vorgelegt. Als PDF durften wir im Redaktionsteam die Arbeit bereits lesen. Wir sind sehr inspiriert und können bald die Online-Lektüre ermöglichen.
Hartmut Rosas „Schunken“, wie Tania Hoesli die achthundertseitige Publikation „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ nennt, war ihr eine wichtige Grundlage, sowie Donna Haraway und die Ausrichtung der sogenannten Kompostisten mit „Staying With the Trouble“, die „Natur-Dialoge“ von Astrid Habiba Kreszmeier, aber auch, was für mich eine absolute Neuentdeckung und sehr wertvolle Lektüre geworden ist, „Braiding Sweetgrass. Indigenous Wisdom, Scientific Knowledge, and the Teaching of Plants“ von Robin Wall Kimmerer (auf Deutsch „Geflochtenes Süßgras“, erschienen beim Aufbau Verlag). Darin lese ich mit Begeisterung, seit ich mir vorgenommen habe, mit Tania ins Gespräch über ihre Arbeit zu gehen und sie selbst bei der Gelegenheit vorzustellen:
Prägend war mit achtzehn eine Reise nach England, wo Tania ein Jahr verbrachte und in die Kunst und Schönheit von Ritualen und in die Meditation eingeführt wurde.
Ihre Frage danach, wie sie leben möchte, führte sie zu einer neuen Kosmologie und einer anderen Wahrnehmung und Haltung dem Leben und der Welt gegenüber. Sie erinnerte sich an ihre Ahnen und spürte ihr eigenes eingebettet sein in den liebenden Kosmos. In England lernte sie auch, dass sie sich ihr eigenes Haus bauen kann, was in gewisser Hinsicht die Antwort auf die Frage war, wie sie leben möchte:
„Ich möchte mir mein eigenes Haus bauen.“ Das Vertrauen, dass es möglich ist, bekam sie mit, und die Engländer sind da sehr direkt: Just do it!
Zurück in der Schweiz baute sie ihre eigene Jurte, in der sie sechs Jahre lang lebte.
Jurte von außen…
… und von innen
Auch das eine Art und Weise, in den Naturdialog zu gehen, im Dialog mit den Baumaterialien und dem ganzen Haus während des Tuns. Die Idee, sich jetzt wieder ein eigenes Haus zu bauen, diesmal aus Stroh, Lehm und Holz, ist da, die Vision ist, auf Waldlichtungen mit anderen Häusern (und Menschen darin) so zu wohnen. Wesentlich ist, daran zu glauben, dass es geht!
In unserem Gespräch sagt Tania, sie hätte sich noch nirgends so zuhause gefühlt wie mit siebzehn im Regenwald in Peru – eine andere wichtige Reise. Sie hörte nur Tierstimmen und fühlte sich wie im Paradies. Auswandern kam nach einiger Überlegung jedoch nicht in Frage. Aus ökologischen Gründen hat sie sich vor zwanzig Jahren entschieden, nicht mehr zu fliegen, außerdem geht es ihr viel zu schnell, und es hätte wohl auch einen Grund gehabt, dass sie in der Schweiz auf die Welt gekommen sei. Nach dem Schulabschluss entschied sie sich, erstmal ihre europäische Heimat besser kennenzulernen. Inzwischen hat sie, nach längeren Reisen auch in den asiatischen Raum, über Russland auf dem Landweg in die Mongolei, sich schon x-mal wieder für die Schweiz entschieden.
2007 war Tania mehrere Monate in der Mongolei / Wüste Gobi für eine Wildpferdstudie am „Research Institute of Wildlife Ecology“ der VetMedUni in Wien. (Foto: privat)
Aktuell lebt sie in Stäfa, in der Nähe des Zürichsees und ist als Umweltbildnerin tätig in der Erwachsenenbildung. In der Organisation „Schweizer Wanderwege“ bildet sie Wanderleiter:innen aus, ein sehr gefragter Lehrgang.
Außerdem hat sie ihre eigenen Initiativen gegründet: mit natourlicht ist sie mit Wassershiatsu und Systemischer Naturtherapie unterwegs und bei natoura kann man sich für Touren mit ihr anmelden.
Wie stehe ich in Beziehung?
Tanias Definition von Spiritualität ist die Frage danach, wie sie in Beziehung steht, was gewissermaßen der Ausgangspunkt für die Themenfindung der Masterarbeit war.
Was braucht es für ein gutes Leben?
Das ist das Kapitel, das mich besonders interessiert, und das ist die Frage, die auch Tania antreibt. Es geht darum, in guter Beziehung zu stehen mit der Welt, mit allen Wesen, da alles auf Wechselseitigkeit beruht: „Living a re-sounding life with vibrating resonance wires“ (Synthesis, S. 32)
Wesentlich dafür sind Offenheit, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, das Zulassen von Transformation und Metamorphose, und wenn man die Unverfügbarkeit akzeptieren kann, wird alles viel lebendiger.
[…] Openness, self-efficacy, confidence, and courage to enter a transformative experience and humility and gratitude that not everything is under my control cannot be bought but I truly believe that they can be nourished through our narratives, our thoughts, affirmations, rituals, and actions. […] (S. 36) […]
Offenheit, Selbstwirksamkeit, Vertrauen und Mut, sich auf eine transformative Erfahrung einzulassen und Demut und Dankbarkeit dafür, dass nicht alles unter meiner Kontrolle oder käuflich ist, aber ich glaube fest daran, dass es genährt werden kann durch unsere Erzählungen, Gedanken, Affirmationen, Rituale und Handlungen. […]
Ritual für das Meer in England
Die Stärke von Tanias Arbeit liegt für mich in ihrer sehr persönlichen Herangehensweise, so erzählt sie anfangs von einer tiefen Erfahrung, die sie vor 20 Jahren in England machen durfte.
„Ich habe das erste Mal ein Gebet wirklich gefühlt“, sagt sie, dabei ist sie katholisch aufgewachsen und hat durchaus Erfahrungen mit dem Beten gemacht, wobei sie das englische Äquivalent „prayer“ viel freier findet. Und so startet sie auch ihre Masterarbeit mit Stille, einem tiefen Atemzug und Worten der Dankbarkeit.
[…] There are many traditions and studies which emphasise the power of gratitude. It quiets our minds, reconnects us to source and supports us to be truly present in our bodies, in the here and now. For Macy, gratitude is the source of all religions. […]
(6.2 The Power of Gratitude & Gift Economy, S. 39)
[…] Es gibt viele Traditionen und Studien, die die Kraft der Dankbarkeit betonen. Sie beruhigt unseren Geist, verbindet uns wieder mit der Quelle und hilft uns, wirklich in unserem Körper präsent zu sein, im Hier und Jetzt. Für Macy ist Dankbarkeit die Quelle aller Religionen. […]
Praxiswege
Neben dem Erlernen der Vipassana-Meditation und dem Vertiefen in yogischen und schamanischen Praktiken, hat sie auch sieben Jahre in der Orixà Tradition der Terra Sagrada gelernt. Mir scheint, ihre Prägungen sind zu vielfältig, und ihr Geist zu beweglich, als dass es bei einer einzigen Linie bleiben könnte. Es ist ein Prozess und sie ist offen für den Wandel und alles, was sich zeigt.
Tania hat den vierten Lehrgang in Systemischer Naturtherapie und 2003 den ersten Masterzyklus Mandat der Natur absolviert und wurde vor allem von den elementaren Verschreibungen sehr berührt. Während eines Moduls mit dem Titel „Indigeny Today“ in England gab sie sich selbst eine elementare Verschreibung. Von der Künstlerin Carolyn Hillyer, ihrem Lied „Come Into The Water Sister“ und dem Fluss Dart inspiriert, verschrieb sie sich, während 49 Tagen täglich in einem wilden Gewässer zu baden. Aus diesem Vorhaben wurde ein tiefes Commitment dem wilden Wasser gegenüber, welches sie tief nährte und ihr auch wunderbare (Tier-) Begegnungen schenkte. Es wurde ein tägliches Ritual, das sie über ein halbes Jahr praktizierte.
Als ich sie frage, wie sie im Alltag ihre Spiritualität lebt, erzählt sie von „Agnihotra“, einem vedischen Feuerritual, das sie zuhause bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang vollzieht – in einem bestimmten Gefäß wird getrockneter Kuhdung verbrannt, dazu Mantren gesungen in die Richtung der Sonne. Das reinigt die Atmosphäre und verankert sie im Zyklischen des Lebens.
Schön finde ich auch die Praxis der „grief circles“ in England, was soviel heißt wie, sich im Kreis über das mitteilen was einen traurig macht. Sobald ich mich verletzlich zeige, sind Herzensverbindungen möglich. Joana Macy spricht in der Tiefenökologie davon: „we need to honour and re-feel our pain, grief and sorrow.“
Der Tod gehört mit hinein
In Tanias Analyse ist die aktuelle Krise der modernen Welt auch eine Krise unserer Beziehung zu Tod und Leben. Der Tod kommt in Rosas Text nicht vor, daran übt sie Kritik, denn ihrer Auffassung nach gehört der Tod zwingend mit hinein. Die Toten und die Lebenden sind nicht getrennt:
[…] Indigenous (First peoples) thought does not perceive time as something linear and exclusive. In the concept of interconnectedness exists no division between the living and the nonliving. Abram’s description of time, death and body describes the humusities view of interconnectedness beautifully:… the enveloping and sensuous earth remains the dwelling place of both the living and the dead. […] (S. 22)
[…] Das indigene Denken (der Ersten Völker) nimmt die Zeit nicht als etwas Lineares und Ausschließendes wahr. Im Konzept der Verbundenheit gibt es keine Trennung zwischen dem Lebendigen und dem Unlebendigen. Abrams Beschreibung von Zeit, Tod und Körper beschreibt die Sicht der Humusitäten auf Verbundenheit: … die umhüllende und sinnliche Erde bleibt die Behausung Wohnort der Lebenden und der Toten.
Das Bewusstsein der Endlichkeit nährt die Dankbarkeit für den Moment. Für indigene Weisheiten, auf die sich Rosa nicht bezieht, was Tania auch kritisch sieht, sind gute Beziehungen zentral:
[…] From the opposite perspective we could also thank Rosa to put indigenous knowledge (it is all about the way we relate) into modern sciences, within a frame of modern understanding of ‘the dead more-than-human world’, even if a very sallow aftertaste remains. […] (S. 11)
[…] Aus der entgegengesetzten Perspektive könnten wir Rosa auch dafür danken, dass er das indigene Wissen (es geht um die Art und Weise, wie wir miteinander in Beziehung treten) in die modernen Wissenschaften einordnet, in den Rahmen des modernen Verständnisses der “toten mehr-als-menschlichen Welt”, auch wenn ein sehr fader Beigeschmack bleibt. […]
Die guten Beziehungen zur mehr-als-menschlichen Welt lassen sich aufbauen über Tanz, Gesang, Gebet und Ritual, so ist ihr Fazit:
“Dance, song, prayer and sacred ritual is the main praxis for a good life.”
[…] Dance, song, prayer and sacred ritual are ways of the vital communication with the more-than-humanworld (including all beings, places, times, and dimensions), ways to nourish our sense of interbeing and ways to express and strengthen gratitude, love, self-efficacy, response-ability and reciprocity. […] (S. 43)
[…] Tanz, Gesang, Gebet und heilige Rituale sind Wege der lebendigen Kommunikation mit der mehr-als-menschlichen Welt (einschließlich aller Wesen, Orte, Zeiten und Dimensionen), Wege, unseren Sinn für das Zwischenmenschliche zu nähren und Wege, Dankbarkeit, Liebe, Selbstwirksamkeit, Reaktionsfähigkeit und Gegenseitigkeit auszudrücken und zu stärken. […]
River Dart
Das Lied habe ich mir jetzt schon mehrmals angehört und es singt in mir einfach weiter…
Für Tania ist das Hören der zentrale Sinn ihres Weltzugangs – nicht nur, dass sie sich ihre Auswahlbücher für die Masterarbeit vorwiegend hörend angeeignet hat, denn lange sitzen und lesen macht sie eher zappelig – sie liebt Tierstimmen und hat für ihre Diplomarbeit im Umweltingenieurwesen Heuschrecken akustisch kartiert, um Zusammenhänge zwischen Artenvielfalt und Managementmethoden von Naturschutzgebieten zu untersuchen.
David Abram stellt in seinem Buch „Im Bann der sinnlichen Natur“ ein Zitat von Gary Snyder dem Text voran, es taucht auch in Tanias Arbeit auf, auf der Schwelle zwischen Selbstvorstellung und dem Einstieg ins Inhaltliche:
As the crickets’ soft autumn hum
is to us
so are we to the trees
as are they
to the rocks and the hills
Was das herbstliche Grillenzirpen
Für uns ist,
Das sind wir für die Bäume,
Und das sind diese
Für die Felsen und Hügel.
So bekommen die Menschen im Ganzen ihren Platz, was versöhnt, letztlich kommt es auch darauf an, wie die Menschen sich organisieren und welche Gemeinschaften sie miteinander bilden. In diesem Sinne lassen sich in der Natur-Dialog-Bewegung Fäden aufnehmen und wir können uns gegenseitig stärken. Tania leitete während der Jahresversammlung die Gruppe an, die sich mit der Frage befasste, wie sich das Naturdialogische stärker in das eigene Tun integrieren lässt, und ich war beeindruckt von ihrer ruhigen, sicheren und klaren Art, in der sie diese Moderation übernahm. So freue ich mich sehr auf weitere Begegnungen in diesem Kreis!
*Fußnote: Leider ist das schon wieder Vergangenheit!
Die Kooperation zwischen dem Schumacher College in Devon und der akkreditierenden Universität in Wales bestand nur während 1-2 Studiengängen … Diesen Studiengang kann frau aktuell am Schumacher College nicht mehr studieren (doch vieles ähnliches) sondern nur noch an der Universität Trinity Saint David in Wales. Doch das ist dann ein sehr anderer Studiengang, weil Tanias Jahrgang stark vom Leben in der Schumacher College Gemeinschaft geprägt war. …
Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Portraitfoto: Franz Kimmel
Fotos: Tania Hoesli
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