Nebel Leben
von Fujiko Nakaya im Haus der Kunst, München
Mit diesem Beitrag startet eine Forschungs- und Beobachtungsreihe zu Künstler:innen, die für ihre Arbeit explizit aus Naturphänomenen schöpfen. Dazu lassen sich auch die bereits im Magazin veröffentlichte Beschreibung der Arbeit „Walden“ der Performancegruppe Showcase Beat Le Mot, sowie der Artikel über das Projekt “Eyes as big as plates” des norwegisch-finnischen Künstlerinnenduos Karoline Hjorth & Riitta Ikonen zählen.
„Wenn man die Natur mit dem eigenen Körper erlebt, bleibt die Qualität des Erlebnisses wirklich haften. Das ist etwas anderes, als wenn man mit Worten gesagt bekommt, was man tun soll. Ich glaube, den Menschen wird gesagt, sie sollen die Natur bewahren, sie nicht zerstören, was dazu führt, dass sie sie nicht berühren. Auf diese Weise schließen sie sie aus ihrer Erfahrung aus. Sie haben keine Interaktion mit der Natur. Wenn sie dann mit der Natur selbst konfrontiert werden, wissen sie nicht, wie sie mit ihr umgehen sollen und verursachen Zerstörung, oft unbeabsichtigt durch Unwissenheit. Ich möchte eine Situation schaffen, in der die Menschen eine physische Beziehung zur Natur aufbauen können. Für mich ist die Natur nicht ein Objekt der Schönheit, sondern die Schönheit liegt in der Beziehung, die der Mensch zur Natur entwickelt. Durch diese Beziehung gewinnt er/sie die instinktive Weisheit, Entscheidungen zu treffen, die die Natur erhalten. Wenn eine Person den Nebel oder die Wolken, die ich erschaffe, erlebt und mit ihnen interagiert, wird dies zu einem Teil ihres persönlichen Systems der Beziehung zur Natur. Es beeinflusst seine/ihre zukünftige Beziehung zum Nebel und zur Natur und macht ihn/sie sensibler für die natürlichen – sogar geologischen – Prozesse um ihn/sie herum.” Fujiko Nakaya
Haus der Kunst: Fujiko Nakaya. Fog x Flo. Foto: Melissa Ostrow
Begegnung mit dem unverfügbaren Anderen
Die Ausstellung „Nebel Leben“ von Fujiko Nakaya im Haus der Kunst in München lief von 8. April bis 31. Juli 2022 und obwohl ich von Anfang an wusste, dass ich in diese Ausstellung gehen will, gelingt es mir erst am letzten Juliwochenende, eine Eintrittskarte zu kaufen und die Nebelskulpturen zu sehen. An diesem Samstag Nachmittag Ende Juli ist schönes Wetter, viele Menschen sind in der Stadt unterwegs, Sommerferienbeginn. Schon als ich an der Kasse anstehe, treffe ich Bekannte, viele haben die gleiche Idee wie ich.
In einem der Haupträume sind zwei Wasserbassins aufgebaut und ringsum sitzen und stehen auf den Holzplanken bereits viele Menschen, die darauf warten, dass der Nebel aufsteigt. Durch die offenen Seitentüren gehe ich erstmal nach draußen, wo Menschen an der Außenbalustrade lehnen und den vom Dach fallenden Nebel fotografieren (Munich Fog (Fogfall) #10865/II). Der Durchgangsbereich ist nass, es wird mit gelben Warnaufstellern vor der Rutschgefahr gewarnt, das Wachpersonal, das verhindern soll, dass Menschen an der Kasse vorbei von der Seite ins Gebäude gelangen, ist genervt von der wiederkehrenden Frage der Besucher:innen, wann nun der Nebel aus den Bassins aufsteige oder hinabfalle vom Dach.
Im Vorfeld hatte ich Lobeshymnen über die Ausstellung gehört, Freunde und Bekannte hatten sich jeweils im Nebel fotografiert und die Fotos in den sozialen Medien gepostet. Das sah gut aus. Die Wirkung dieses Kunstwerks manifestiert sich auch und vor allem in seiner Flüchtigkeit über das Medium der Fotografie. Teil der Ausstellung sind auch Fotografien von anderen Örtlichkeiten und Menschen, die im Nebel versinken.
Auch ich gehöre zu den Besucherinnen, die das Personal fragen, in welchem Rhythmus der Nebel denn erscheine, damit ich ihn nicht verpasse. Alle volle und alle halbe Stunde heißt es. Und so ist es. Kinder winken ihren Eltern auf der anderen Seite des Bassins zu und hüpfen, bis sie im Nebel verschwinden und sich nicht mehr sehen. Ein Event für die ganze Familie. Ein Ereignis, von dem ich seltsam unberührt bleibe. Oder gar nicht seltsam. Zuviel Erwartung, zuviel schon gewusst. Mein analytischer Verstand beobachtet, wie dieser feine Nebel entsteht, der wirklich phänomenal ist, blickdicht, diffus, mäandernd, die Konturen verwischend, um schließlich alles in watteweiches Nebelgrauweiss zu tauchen. Der besondere Effekt ist nicht zu vergleichen mit chemisch erzeugtem Theaternebel.
Haus der Kunst: Fujiko Nakaya. Nebel Leben. Foto: Andrea Rossetti
Leise macht sich in mir das Gefühl der Enttäuschung breit, auf das ich innerlich auch schon vorbereitet war: Das Gefühl, eben nicht per Eintrittskarte, wie Hartmut Rosa es in seinem Buch „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ beschreibt, eine Resonanzerfahrung kaufen zu können.
„Die prinzipielle Unverfügbarkeit bleibt auch in der Kunst konstitutiv für das Resonanzgeschehen. […] Wie in der Sphäre der Naturerfahrungen besteht auch und gerade auf dem Feld der Ästhetik die Gefahr, die Möglichkeit der Begegnung mit einem prinzipiell unverfügbaren Anderen, also genuine Resonanz, durch entgrenzte, kommodifizierende Verfügbarmachung zu untergraben. Das gilt für die rezeptive ebenso wie für die produktive Seite der Kunst.“ (Seite 497)
Ich hatte es befürchtet, und mir im Vorfeld schon überlegt, welchen Einfluss ich auf die Bedingungen nehmen könnte, ob ich Sonntag Morgen gleich um 10 Uhr zu Beginn der Öffnungszeit dort hingehen soll, in der Hoffnung, dann einen frischen, ungetrübten, stilleren Eindruck zu bekommen. Aber in meinem Wunsch, das dann auch gewissermaßen „abzuhaken“, den Samstag Nachmittag gewählt, weil ich sowieso in der Nähe war und am Haus der Kunst vorbeikam.
Die beiden Künstlerinnen Karoline Hjorth & Riitta Ikonen, deren Arbeit hier vorgestellt wurde, sagen im sehens- und hörenswerten Ted Talk (Minute 05:17):
„Serendipity is our project manager and ideally we meet our collaborators through random chance…“.
Also dem glücklichen Zufall, der Fügung folgen und sich dafür öffnen, vermutlich braucht es auch eine innere Ausrichtung, die das zulässt. So ähnlich scheint es mit den Resonanzphänomenen zu sein. Sie sind nicht planbar, und sich überraschen zu lassen, ist einfach wunderbar, von den völlig unplanbaren Nebelschwaden in der natürlichen Umgebung zum Beispiel. (Siehe Artikel von Sabina im Magazin)
Astrid Habiba Kreszmeier beschreibt in „Natur-Dialoge“, dass der Zufall eine strukturelle Determinante sympoietischer Prozesse darstelle, weswegen es ihr angemessen erscheine, sich mit dem Zufall anzufreunden und auch hier Kompetenz zu entwickeln. (Seite 219)
Im August war ich einige Tage in der Frauenpension La Chamoise in Adelboden und war ziemlich fasziniert vom wechselnden Panorama und der Aussicht auf das Lohnergebirge, das je nach Uhrzeit, Beleuchtung und Wetterphänomenen jeweils völlig anders wirkte. Es veränderte auch mein Gefühl für Nähe und Weite, von Abständen und Konturen. Tatsächlich empfand ich es als interessanter, die Wolkenbildungen und Nebelschwaden zu beobachten, die Teile des Massivs verhüllen, andere wieder zum Vorschein kommen lassen, im stetigen Wandel, als den wolkenlosen blauen Himmel.
Blick aus der Frauenpension La Chamoise auf den Lohner. Foto: Beate Zeller
Ganz zu Beginn des Basislehrgangs Systemische Naturtherapie mit Konstanze Thomas und Christian Mulle hatten wir die Aufgabe bekommen, während wir in Zweierkolonne zur Sitter hinunter stiegen, uns paarweise darüber zu verständigen, welches Lebewesen wir gern wären, wenn wir kein Mensch wären, und welches überhaupt nicht.. Für Letzteres nannte ich den Regenwurm, und für Ersteres sagte ich: Wolke.
Eine solche hängt nun über meinem Bett – gestaltet von der koreanischen Designerin Hae Young Yoon – Kunst, als Versuch, die Poesie der Natur ins Zimmer zu holen.
Cloud. Designed by Hae Young Yoon. Foto: Beate Zeller
Selten schaue ich diese Wolke bewusst an – mein erster Blick morgens ist meist ein Blick aus dem Fenster. Wo ich Himmel sehe.
Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Portraitfoto: Franz Kimmel
Beitragsbild: Haus der Kunst: Fujiko Nakaya. Nebel Leben. Andrea Rossetti
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