Listening is letting appear
Sympoietics – Raum für Wechselseitiges
Seit letztem Jahr gibt es den sympoietics podcast. Astrid Habiba Kreszmeier und Dorothea Kurteu haben ihn ins Leben gerufen – inspiriert von der Freude an guten, lebendigen Gesprächen. Was hier auftaucht, was sympoietisch mitmischt und was das alles mit Lieben zu tun hat, davon erzählt Habiba in diesem Beitrag.
Ich kann es drehen und wenden, wie ich will, letztlich ist es die Liebe, oder sagen wir besser das Lieben, oder noch genauer, es ist lieben, was mich bewegt.
Weil «lieben» eine komplexe Angelegenheit ist, mit der man/frau nicht immer und überall aufkreuzen kann, freue ich mich umso mehr, wenn ich in Feldern, die ohne «lieben» auskommen sollten, «lieben» antreffe.
So zum Beispiel im Rahmen einer Weiterbildung zu Cultural-Biology mit Ximena Dávila und Humberto Maturana [1]. Der im Mai 2021 verstorbene und mit dem Autopoiese-Begriff international bekannt gewordene Biologe und Philosoph hat sich weit hinausgewagt und bestimmt einiges an Gegenwind und Abwertung ertragen. Zum einen weil er Disziplinen, die wissenschaftstraditionell streng getrennt waren, zusammen gedacht und behandelt hat, wie zum Beispiel Biologie und Erkenntnis. Zum anderen weil er sich von dominanzorientierten Erklärungsmodellen abgegrenzt und unermüdlich ein Verständnis von Leben vorgeschlagen hat, dessen Merkmale Liebe, Kooperation und verbundenes Miteinander-Werden sind.
Das alles wusste ich mehr oder weniger schon und doch war ich berührt, ja ergriffen, als ich ihn – den damals schon über 90jährigen – ganz nüchtern, unaufgeregt und doch überzeugt sagen hörte:
«Loving is letting appear»
Lieben heisst Erscheinen-Lassen. Lieben ist jener Aufmerksamkeits- und Verhaltensraum und Körperzustand, in dem der, die, das Andere als gleichwertig berechtigtes Mitlebendes da sein kann.
Hier ist das Erscheinen-Lassen also auch ein Dasein-Lassen und das Dasein-Lassen auch ein Erscheinen-Lassen. Sie sind wechselseitig sich Bildende, so wie ja auch das Schauende und das Geschaute wechselseitig sich Bildende sind und das Hörende und Gehörte, das Berührende und Berührte.
An diesen ereignisreichen Zuständen, im Buch «Natur-Dialoge» sind sie als Sympoiesen beschrieben, habe ich grosse Freude und bin von Natur aus (😊) daran interessiert, sie zu erleben und wenn möglich, zu ermöglichen oder wenigstens nicht zu verhindern, was leider nicht immer gelingen will, aber manchmal doch.
Zum Beispiel bei geselligem Zusammensein an Feuern oder in warmen Stuben, in Gärten oder in Wäldern, beim Beraten oder Begleiten, beim Reisen oder beim Kochen, beim Tanzen, Lesen und Lernen und immer wieder in Gesprächen.
Gespräche bleiben nicht exklusiv zwischen den Sprechenden, sie breiten sich im Raum aus, sie machen Atmosphäre, deren Teil wir sind.
Ja, gute Gespräche sind Sprach-Räume, in denen Erscheinen da sein kann; in denen die Art und Weise des (Zu)hörens auch Erscheinen und Auftauchen (zu)lässt.
Gespräche, bei denen wir schon wissen, was wir sagen werden und noch schlimmer, was die anderen zu sagen haben, sind tendenziell langweilig, ermüdend, einengend oder gar unterdrückend.
Gute, lebendige Gespräche, die wir dann auch oft als wertvoll, anregend, heilsam, weiterführend oder auch beruhigend empfinden, zeichnen sich durch ein wechselseitiges Interesse aus. In ihm können Dinge zur Sprache kommen oder Sprache finden, die in diesem Moment und in diesem Raum Sinn stiften. Oft ist es denn auch Überraschendes für alle Beteiligten.
Solche Gespräche sind Lebenselixier, sind Nahrung. Es ist schön, sie aktiv mitzugestalten, aber selbst das Zuhören, das Mithören, das Dabeisein bei guten Gesprächen ist nährend. Gespräche bleiben nicht exklusiv zwischen den Sprechenden, sie breiten sich im Raum aus, sie machen Atmosphäre, deren Teil wir sind.
Leider ist eine solche Gesprächskultur nicht einfach und überall anzutreffen, sie ist nicht Mainstream. Und doch bemühen sich viele Orte, Einrichtungen, Schulen und öffentliche Kommunikator:innen um sie. Und als die Journalistin und Kulturschaffende Dorothea Kurteu und ich im Frühjahr 2022 losgezogen sind, um den sympoietics podcast zu starten, war uns dieser Aspekt ein wesentlicher Motor.
Wir wollen mit unseren (mehrheitlich weiblichen) Gäst:innen einen Raum gestalten, in dem ihre Lebenswege und Werke hörbar werden und auch Unerwartetes auftauchen kann. Auch die Wahl und Entscheidung, welche Menschen wir einladen, ist ein phänomenaler Prozess. Auch dabei darf Auftauchen.
Auf diese Weise aufgetaucht sind in unserem ersten sympoietics podcast Jahr besonders Frauen, die wir wahrlich als «Ältere» aus dem Feld der Psychotherapie bezeichnen können. Und auch viele Frauen mit bemerkenswert kreativ-eigenwilligen Lebenstänzen zwischen Kulturen, Zeiten und Stoffen, so zum Beispiel Susanne Doebel oder Denise Freitas, die uns sogar bis nach Brasilien führt und Riane Eisler, der mehrfach ausgezeichneten Bestsellerautorin, die in Kalifornien zuhause ist.
Leitend sind im sympoietics podcast Themen, die sich auch um die Natur-Dialoge ranken: Erdverbundenheit, Erinnerungspraxis und Resonanzkultur, hier übersetzt in feministische, indigen-intellektuelle, kultur-archäologische und poetisch-denkende Lebensgeschichten. Als bekennende Sympoietiker:innen sind wir besonders auch transdisziplinärem Geschehen zugeneigt und stellen – aus unseren Fachgebieten heraus – immer wieder Fragen, die Psychologie und Politik verbinden.
Wir freuen uns über Zuspiel, Mithörer:innen, Rückmeldungen und – wie soll es anders sein – auf das, was erscheint. Und wir üben weiter: Loving and listening.
Foto: Astrid Habiba Kreszmeier
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Liebe Regina, liebe Habiba,
Danke für das schöne Gedicht, Regina, und für deinen Text Habiba, den ich jetzt nochmals gelesen habe. Und wieder einmal denke ich jetzt über die Liebe nach 😉 Sie wäre auch einmal eine interessante Gästin* in unserem Podcast. Gespräche mit der Liebe. Was würde sie uns erzählen? Was würden wir fragen wollen? Welche Atmosphäre würde entstehen?
Wir Menschen sprechen ja meist so, als wäre Liebe ein großes Gefühl (und ja, wir alle kennen diese Momente von Liebes-Ergriffenheit), doch meist ist lieben eben – wie du, Habiba, es ja auch verwendest – ein Tun-Wort, eine Handlung eben, eine Geste, eine Zärtlichkeit, aber auch ein Streit, ein für etwas Eintreten, Stimme nehmen und Stimme geben. Listening. Viele Lieben.
Liebe Doro, ja, danke. Mir fällt dazu ein: wir könnten mal eine Serie machen, in der wir Menschen dazu einladen mit uns übers Lieben zu sprechen. Viele Lieben kämen da wohl zusammen:-)
Liebe Regina, zwischen Reisen und Computern, die nicht mehr so wollen, wie frau will;- hat nun meine Reaktion lange gedauert!
Herzlichen Dank für dein Feedback und das schöne Gedicht. Gedichte gehören ja der Welt, aber weisst du, wer es geschrieben hat? Schon wieder auf Namensuche:-)
Ich wünsche dir alles Gute und wir von sympoietics podcast freuen uns darüber, dass unsere Gespräche dann und wann zu Begleiter:innen werden, so soll es sein!
Liebe Habiba
Hab lieben Dank für deinen wunderbaren Text vom Zuhören, dem Erscheinen-Lassen und der Liebe. Beim Lesen ist mir ein Gedicht zu geflogen das irgendwie sich verbinden mag.
LIEBE
Wir treten vor die Dinge hin und sagen ihnen gleich die Namen.
Wir sagen Flieder und Schenke und Wolke
und machen sie so stumm
und gestatten ihnen nicht,
uns ihr Geheimnis zu verraten.
Sind wir erfüllt von Liebe und können lange warten,
würden sie selbst zu reden beginnen
und uns kundtun, wie sie wirklich heissen.
Vielleicht geben sie uns sogar Namen und flüsterten und zu,
was wir für sie sind,
in ihrer Welt.
Übrigens sind eure Interviews mir ab und an Begleitung und Inspiration.
Herzliche Frühlingsgrüsse
Regina