Wasserwege: Die March – Teil 2
Fischerhütten an der March. (Foto: Babs Matter)
Es ist vielleicht gut, an der Quelle zu beginnen, wenn man von einem Fluss erzählen möchte.
Die March ist ein linksseitiger Nebenfluss der Donau und entspringt im Sudetengebirge im Dreiländerdreieck von Böhmen-Mähren-Schlesien. Genauer gesagt, entspringt sie am Králický Sněžník (Śnieżnik/Glatzer Schneeberg), dessen Gebirgsausläufer Wasser gleich in drei Richtungen fließen lassen, und zwar in die Ostsee, in die Nordsee und, über March und Donau, auch in das Schwarze Meer. Dieser Berg markiert mit seinen Rücken die tschechisch-polnische Grenze. Warum eine deutsche Künstlergruppe im Jahr 1932 ausgerechnet eine Elefantenstatue auf einem Schneeberg errichtet hat, erscheint mir rätselhaft. Jedoch wurde 1932 noch ein zweiter Elefant in der Stadt Bremen eingeweiht, allerdings kann ich nicht sagen, ob da ein Zusammenhang besteht.
Die March durchfließt Mähren (tschechisch: Morava), einen Landesteil der Tschechischen Republik. Auf tschechisch bzw. slowakisch heißt die March Morava. Aus der etymologischen Wortherkunft bedeutet Morava einfach „Wasser“, die jüngere, deutschsprachige Bezeichnung March „Grenze“. Ein Umstand, der mich schon länger beschäftigt. Meiner Vermutung nach ist der „Vater Europas“, Karl der Große, nicht ganz unschuldig daran. Mit seiner und der noch folgenden Christianisierungs-, Kriegs-, Besiedelungs- und Vertreibungspolitik und seinen Verordnungen hat er letztendlich Europa zu einem nicht-geografischen Kontinent gemalt, also als Idealbildvorstellung. Sein Lieblingsbuch war „De civitate Dei“ geschrieben von Augustinus.Seit 1949 wird alljährlich ein Karlspreis in Aachen verliehen.
Europa Regina in Heinrich Büntings Itinerarium Sacrae Scripturae (1582)
Nicht zu verwechseln ist die March mit einer zweiten Morava, einem rechtsseitigen Nebenfluss der Donau in Serbien.
Die March ist Verbindung zwischen Nordeuropa und dem Donauraum, was uralte Handelsrouten wie die Bernsteinstraße vermuten lassen. Sie erfüllt eine wichtige Korridorfunktion für zahlreiche Wildtierpopulationen, historisch betrachtet, auch für Menschen und Kulturen (z.B. Bandkeramische Kulturen). Sie gilt als der westlichste Steppenfluss und nach dem Donaudelta als das artenreichste Flussökosystem Europas. Schon allein von der Gattung Gelse (Steckmücke) leben hier 36 verschiedene Arten. Ich frage mich, wie viele unsichtbare Gärtnerinnen und wie viel unsichtbare Gärtner es braucht, um sich um diese pralle Vielfalt und Schönheit zu kümmern.
So wie ich sie seit meiner Kindheit kenne, ist die March gemächlich, sanft, wild, zart, manchmal wütend-bedrohlich, manchmal trockengefallen, überquellend, stets wandelbar und in sich grenzenlos. Man kann gar nicht sagen, ob sie Fluss, Sumpf, Tümpel, Feuchtwiese oder Auwald ist, deshalb möchte ich meinen, sie ist „alles“, aber ganz bestimmt ist sie eines – eine Wiege des Lebens.
Sie war meine sommerliche Kinderstube. Ob sie Dickköpfen etwas beibringen kann, weiß ich nicht, aber gezeigt hat sie mir viel und jede Schulstunde war eine blanke Freude.
Entlang ihrer Ufer muss man schon aufpassen, wo man seinen Fuß hinsetzt. Es könnte gründige Wiese sein, aber auch abgrundtiefer Morast. Hier verschwimmen so viele Grenzen, da sieht man nicht klar, es bleibt nur vorsichtig zu tasten, zu staunen, zu spüren und zu lesen oder eben unterzugehen.
Und wenn die Aubaumriesen im Wind wie alte Bären tanzen, ihre alten Äste knorren, die Vögel kreischen und zwitschern und die March so vor sich fließt, ich weiß nicht, singt sie Melodien, die so schön klingen wie dieses ursprünglich mährische Volkslied „Teče voda, teče“ (Fließ Wasser, fließ..). Unterhalb eine sehr schöne Version aus der Ostslowakei.
Sie bietet Heimat für viele seltene, bunte Vögel und allerhand urtümliche Bewohner, um nur einige wenige zu nennen wie: dreiäugige Urzeitkrebse, grüne Feenkrebsen, musikalischen Rotbauchunken, Gewitterfurzern und nicht zuletzt dem Wiener Nachtpfauenauge, dem man nachsagt, nur einen Tag Schmetterling sein zu dürfen, aber dieser einzig für die Liebe da ist.
Im Frühling, wenn die Fische über grünen Wiesen schwimmen und junge Gänseküken ihren Todessprung ins Leben aus Nestern viel zu hoher Bäume wagen, weil das höchste Vorfrühlingshochwasser irgendwann trockenfällt, dann wird aus jeder vermeintlichen Bodenbrut ein himmelhohes Adlernest.
Meinen verflossenen Kartoffeln sind auf ihrer Reise vielleicht ihre längst vergessenen Vorgängerinnen, den Wassernüssen, den Kartoffeln der Steinzeitmenschen, begegnet, die hier ihr letztes Refugium finden. Im asiatischen Raum stehen sie nach wie vor auf dem Speisezettel.
Über Sommer beziehen viele Menschen ihre Fischerhütten. Man fischt, genießt das Leben und die schöne Zeit, muss niemand sein. Sie war auch bis 1989 tatsächlich erklärtes Niemandsland.
Ein Lied und mehr übers Dudeln.
Oft färbt sich die Luft schwarz vor lauter Gelsen. Mit Blutsaugern darf man leben lernen, doch wer die March einmal kennt, der wird sie respektieren, lieben und für immer schätzen, egal wie sie sich gerade zeigt. Zeitweise wird es dennoch – bei aller Liebe – absolut unerträglich.
Die March war nicht nur König Ottokars Glück und Ende, bei genauer Betrachtung auch jenes der Habsburger.
Bei Bratislava (Slowakei), an ihrer Mündung in die Donau, steht ein Denkmal, das Tor zur Freiheit. Es ist den Opfern gewidmet, die vor dem Jahr 1989 bei der Flucht über die streng bewachte Staatsgrenze umgekommen sind. Dass die March ein Schwarzwasserfluss ist, ähnlich dem Rio Negro, der in den Amazonas fließt, sieht man besonders schön an der Mündung.
Zusammenfluß von March und Donau bei Hainburg/Devin-Bratislava. (Foto: Florian Haider/Pexels)
Eigentlich bin ich mit meinem Beitrag “fertig”. Aber weil nichts so kostbar wie die Freiheit und nichts so wertvoll wie Vertrauen ist und niemand mehr auf einem Schachbrett gemeinsam Fußball spielen kann, wünsche ich meinen freigeschwommenen Kartoffeln Kraft und Glück in der Freiheit! So möchte ich ihnen als Gruß dieses weißrussische Volkslied ans Meer nachschicken.
Franz Schweinberger ist Landwirt.