Mensch und Natur
Lebendige Weltbezüge
Anthropologie, Philosophie und das Genre des Nature Writing präsentieren vermehrt erweiterte oder revidierte Vorstellungen vom Lebendigen und unserem menschlichen Umgang damit – und geben den Outdoor-Professionen damit interessante Rückendeckung.
Mit dem Titel “Mensch und Natur” erschien im Frühjahr eine Ausgabe der Zeitschrift erleben und lernen, für die ich Gastherausgeberin war und auf die ich hier gern hinweise. Für den natur-dialogischen Kolleg*innenkreis ist die Beziehung zwischen Mensch und Natur wesentlicher Bestandteil des Arbeitsansatzes und der gesamten Weiterbildungs- und Arbeitspraxis. Im weit gefassten Feld der Erlebnispädagogik schien es mir sinnvoll danach zu fragen, welchen Stellenwert Natur und der Kontakt zu ihr in der fachlichen Grundlegung haben.
So oder so: Interessanterweise ist in den letzten Jahren eine Reihe von Publikationen unterschiedlicher Fachrichtungen erschienen, in denen das Verhältnis zwischen Mensch und Natur oder anders gesagt die Umgangsformen mit der nicht-menschlichen oder mehr-als-menschlichen Welt neu entworfen werden. Dabei beziehen die Autor*innen vermehrt eigene Erfahrungen ein. Einige ausgewählte Argumentationen und Beschreibungen aus anthropologischer und philosophischer Sicht sowie aus dem angloamerikanischen Genre des Nature Writing bringt der einleitende Artikel des Heftes in Grundzügen zusammen.
Zwei Befunde sind dabei auffällig: Erstens zeigt sich eine Relativierung abendländischer Perspektiven zugunsten einer Betonung der Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit unterschiedlicher Weltbilder sowie die Suche nach Perspektiven zur Kontaktaufnahme mit der belebten Umwelt zugunsten einer wirklich gemeinsam bewohnten und dauerhaft bewohnbaren Erde. Auch wenn ökologische Perspektiven dabei notwendigerweise eine Rolle spielen, geht es doch zugleich darum, dass eine solche – wenn man so will: bescheidenere – Position der Menschen eine Bereicherung auch für sie selbst darstellt. Sie erleben sich im Gefüge, suchen geteilte Räume, plädieren für Resonanzen, für überraschende, ungeplante, unverfügbare Erfahrungen, sie beschreiben beglückende, berührende oder erkenntnisbringende und in jedem Fall belebende Momente der Begegnung mit Konsequenzen für das eigene Dasein.
Mit dem Eintreten für eine Vielfalt von Sichtweisen im Weltverhältnis relativiert sich zweitens auch der moderne abendländische Primat (natur)wissenschaftlicher Denkweisen. Die Erweiterung und Aufwertung von lebensweltlicher und leibgebundener Erfahrung führt zu einer großen Spannbreite von wissenschaftlichen und erfahrungsorientierten Zugängen zu allem Lebendigen. Das Nature Writing erweist sich dabei als vielseitige Quelle für die Zusammenführung von Denken und Fühlen, von Wissen und Erfahren sowie dazugehöriger sprachlicher Ausdrucksformen.
Der zweite Abschnitt des Heftes versammelt praxisbezogene Beiträge, dabei liegt das Augenmerk darauf, wie Teilnehmer*innen ihr Dasein in der Landschaft erleben. Ines Flade, Maika Hoffmann und Karin Wegner, Sabine Barkowsky und Christiane Wilkening erläutern ihre klientenspezifische Herangehensweise sowie Wirkungen ihrer Angebote für Kinder und Jugendliche, für trauernde Menschen und für Frauen, die in Rückzügen eine Wiederverbindung mit der Natur suchen. Immer wieder beziehen sie Stimmen einiger Teilnehmer*innen ein, sei es aus Mitschriften, schriftlichen Rückmeldungen oder zeitversetzten Interviews.
Anknüpfend an das Buch “Natur-Dialoge” rundet ein Interview den Themen-Schwerpunkt ab. Astrid Habiba Kreszmeier beantwortet darin Fragen zu konkreten und weiter gedachten Auswirkungen der Arbeit in Naturräumen, zum sympoietischen Ansatz und seinem Verhältnis zur Naturtherapie und frühem systemischem Denken und schließlich zur Zuversicht, wie sie sich auch aus den jahrzehntelangen Erfahrungen der Weiterbildung, Therapie und Beratung in der Natur speist.
Doch lest und lesen Sie selbst. Es freut die Autorinnen, wenn die e&l-Ausgabe Impulse gibt und den fachlichen Austausch und auch das Schreiben über Praxiserfahrungen und Wirkungen weiter inspiriert.
Blick ins Heft und Bestellmöglichkeit des Einzelhefts finden sich hier:
https://e-und-l.de/produkt/el-2-2024/
Und hier auch Hinweise auf ältere Hefte, die in Gastherausgabe aus unserem Netz entstanden:
https://e-und-l.de/produkt/el-6-2004/
https://e-und-l.de/produkt/el-1-2006/
https://e-und-l.de/produkt/el-6-2016/
Eine Reihe von Artikeln in anderen Ausgaben finden sich auf den jeweiligen Internetseiten.
Bettina Grote ist systemische Naturtherapeutin und Beraterin, Weiterbildungsanbieterin und Lehrtrainerin in Berlin, selbstständig seit 2004
www.systemische-prozessgestaltung.de
Foto: Claudia Mommsen
CC BY ND Verwendung zu nicht-kommerziellen Zwecken erlaubt, solange dies ohne Veränderungen und vollständig geschieht und der Urheber genannt wird.
Liebe Maria und Bettina: herzlichen Dank für diesen zusammenfassenden Hinweis auf das sorgfältig und vielfältig komponierte Heft zum Thema Mensch und Natur. Besonders inspirierend sind für. mich immer wieder auch deine bedachten und doch so erweiternden Zugänge, Betrachtungen, Vernetzungen. Es hat mir auch Freude gemacht, mit dir an dem Interview zu arbeiten und über das Verhältnis Systemische Naturtherapie und Natur-Dialog Ansatz weiter nachzudenken. Alles Gute bei deinem weiteren Wirken, herzlich Habiba