Quellengeflüster
Die Sonne scheint und im lichten Bergwald riecht es nach diesem typischen Morgenduft: Nachtfeuchte Erde, sich trocknendes Moos, weich werdendes Tannenharz, sonnenwarme Felsen. Die Kühle der Nacht sitzt noch in den schattigen Stellen und wird langsam von der warmen aufsteigenden Luft aufgelöst.
Ich sitze bei einer grossen Tanne auf einem Stein und atme tief durch. Der Aufstieg von der Alp Golzern hoch zum Geschel ist nicht weit und auch nicht besonders steil, aber ich bin zügig hochgewandert und auf meiner Stirn machen sich ein paar Schweisstropfen bemerkbar. Ruhig und abseits des Weges streune ich weiter durch die bereits herbstlich verfärbten Heidelbeersträucher. Neugierig, wo mich meine Füsse hinführen. Ich begegne den kleinen, übrig gebliebenen Heidelbeeren, den Spinnen in ihren Netzen, dem Ameisenhaufen, den Felsnasen, den weiss strahlenden Birken. Vieles kenne ich und viele kennen mich und wecken Erinnerungen. Zahlreiche Menschen durfte ich auf diesen Wegen und Plätzen, auf ihren Lebenswegen begleiten. Coachings und Naturtherapeutische Begleitungen. Mit Einzelpersonen sowie mit Gruppen. Lösungs-, Wandlungs-, Versöhnungs-, Heilungsgeschichten. So unterschiedlich all diese Geschichten sind, eine wesentliche Gemeinsamkeit haben sie:
Der wesentliche Begleiter ist nicht der Mensch, sondern der Raum, der mitcoacht.
Es ist der Weg, der führt und zügiges Vorangehen ermöglicht. Der Fels, der trägt und schützt. Er ist hart und gleichzeitig vermittelt er eine selbstverständliche Geborgenheit. Der Berg, der hoch in den Himmel ragt und zu einem Gegenüber wird, das Demut, Verantwortungsgefühl und Mut weckt. Die Abenddämmerung, die Ängste zum Vorschein bringt. Die dann wohl aufgehoben zum Ausdruck gebracht werden und sich lösen dürfen. Das Wärme und Nahrung spendende Feuer, das dafür sorgt, dass die Menschen, die da sind, sich sicher fühlen und die Körper entspannen lässt. Die Morgensonne, welche die Nacht ablöst und Zuversicht und Freude auf den neuen Tag einfliessen lässt. Der Quellsee, der da friedlich liegt und der Bach, der fliesst und sprudelt. Nicht nur dort im Bachbett, sondern auch innen drin. Und bestimmt sind da noch viele Kräfte, die wirken, sich aber nicht erkennen lassen.
Der Lernweg als Naturdialog Coach ist schlicht und abenteuerlich 😉
Im Naturdialog Coaching schliessen wir an ein tief innewohnendes genetisches Erbe an und betrachten die anders-als-menschlichen Mitbewohner um uns herum als lebendige Wesenheiten mit eigener Stimme. Die wechselseitige Wahrnehmung wird zum wichtigen Instrument der lebendigen Naturerfahrung. Das macht einen Unterschied zum klassischen Beratungssetting, welches auf einen Dialog zwischen Menschen ausgerichtet ist.
«Sorgsame reziproke Selbst- und Raumwahrnehmung appelliert nicht an die Barmherzigkeit der Umgebung gegenüber. Sie nimmt jedoch wahr, was der Raum mit uns und was wir mit dem Raum anstellen, und sucht darin jene Bewegungen, die der Erhaltung des Lebendigen am meisten dienen. Das klingt anspruchsvoll – und ist es auch.» Astrid Habiba Kreszmeier, Natur-Dialoge, S. 64
Der Baum ist mein Coach? Wie soll das gehen?
Einfach formuliert, geht es zunächst um eine Öffnung der Wahrnehmung oder anders gesagt, um einen «Shift» der Aufmerksamkeit. Das ist deshalb anspruchsvoll, weil wir in unserem Alltagsbewusstsein anders getrimmt und getaktet sind. Der Naturraum lädt ein, die Wahrnehmung freizulassen und zu streunen. Neugierig und forschend, dem nachzugehen, was anspricht. Im Gelände und auch in den eigenen Gedanken und Erinnerungen. Das Ungeplante und Überaschende oder auch «Zufällige» gewinnt an Bedeutung. Die Menschen erleben sich eingewoben im Gefüge des Lebens, erzählen von sanften Berührtheiten, beglückenden Erfahrungen, leuchtenden Momenten, klaren Erkenntnissen oder tiefem Berührt-Sein, oft mit unmittelbaren Auswirkungen auf das eigene Er-Leben.
Der Lernweg als Naturdialog Coach ist schlicht und abenteuerlich ;-).
Wie lade ich den Raum ein, in seiner unverfügbaren Eigenwilligkeit mit zu coachen? Wie kann ich diese anders-als-menschlichen Sprachen lernen?
Es braucht Lieblingsplätze in der Natur, Beziehungen zu Bäumen und Bächen, offene Augen für die kleinen Zeichen am Wegrand, gute Erde und ein offenes Gastgeberherz…
«Es braucht ein lustvolles sympoietisches Zirkeltraining, das die in uns allen schlummernden Wechselseitgkeitsgene erweckt und die prägende Einbahnepigenetik ergänzt, ja womöglich sogar ablöst!» Astrid Habiba Kreszmeier, Natur-Dialoge, S. 64
Am höchsten Punkt des Geschels angekommen, besuche ich die Quelle. Dankbar knie ich mich ins Gras. Vor 13 Jahren hat sie mir zugeflüstert und mich eingeladen, hier zu bleiben. So kam es, dass ich das Alphaus erworben habe und seitdem als regelmässiger Gast und Gastgeber hier oben bin.
Was für ein Geschenk!
Mehr Infos zum Naturdialog Coaching findet ihr hier!
Christian Mulle ist Organisationsberater, Coach, Naturtherapeut, Bergler, Netzwerker. Er ist Mitglied im Lehrteam des sympoi Instituts und Gründungsmitglied der Natur-Dialog-Bewegung.
www.walkout.ch
Fotos: Christian Mulle
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