«Das Teilen dieser Erlebnisse ist für mich eine der ganz großen Notwendigkeiten.»
Brächt Wasser berichtet im Interview mit Ursula Reisenberger über Naturaufstellungen und erzählt vom Perspektivenwechsel, der sich aus der Sicht von Tieren, Pflanzen, Orten oder Landschaften und deren Qualitäten ergibt und insbesondere von ihrem „Blick“ auf uns Menschen. Er sinniert über die gesellschaftliche Relevanz einer anderen Optik und des Zugangs zum inneren Sensorium.
Ursula (Theaterregisseurin und Teilnehmerin des letzten Ausbildungszyklus): Brächt, du bist einer der Begründer der Naturaufstellungen – was hat dich auf diesen Weg geführt?
Brächt: Als Kind bin ich in einem Bauerndorf, am Ufer eines Baches und in der Nähe des Waldes aufgewachsen und habe viel Freiraum genossen. So hat die Natur mich und mein Leben eigentlich von Anfang an ganz unmittelbar und selbstverständlich geprägt. Das Forstingenieurstudium verstand ich dann als weiteren Schritt hin zur Natur, und tatsächlich hat mir diese Berufswahl drei Jahrzehnte Arbeit im und für den Wald ermöglicht. Ich habe aber auch bereits während des Studiums bemerkt, dass wir mit dem naturwissenschaftlichen Ansatz zwar viele Fragen beantworten können, dass er bei grundlegenden Themen aber nicht Teil der Lösung, sondern eigentlich Mitursache des Problems ist, denn die angestrebte Objektivität trennt, was im Grunde zusammen gehört. Diese Erfahrung war Anlass für die Suche nach Wegen, die zusammenführen – und mein Vertrauen, dass die Naturaufstellungen hierzu einen wichtigen Beitrag leisten können, ist stetig gewachsen.
Was passiert in einer Naturaufstellung?
Ausgangspunkt jeder Aufstellung ist ein aktuelles Anliegen einer Person – wir nennen sie „Fokus“ – in einem bestimmten System. Das kann ein Garten sein, ein Wald, ein Wolfsrudel, ein Heim, Haustiere, etc. Die Teilnehmenden übernehmen je nach Fragestellung die Stellvertretung von Bäumen, Tieren, Menschen und anderen relevanten Elementen innerhalb dieses Systems. Dann geht es in erster Linie darum zu beobachten, welche Dynamiken sich entwickeln. Auf diese Weise werden Qualitäten dieser Elemente und ihre Beziehungen zueinander im Laufe der Aufstellung offengelegt und entwickeln sich weiter. Es wird sichtbar, was zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Landschaften fließt, wo dieser Fluss unterbrochen ist und wie er wieder in Gang kommt. Wenn man es mit Familienaufstellungen vergleicht, könnte man sagen, wir stellen die ganz große Familie auf.
Und für welche Themen oder Kontexte eignen sich Naturaufstellungen?
Das Feld sinnvoller Anwendungen von Naturaufstellungen ist sehr weit und noch lange nicht ausgeschöpft. Einerseits eignen sie sich natürlich für Fragen, die ein Ökosystem betreffen, zum Beispiel einen Wald, eine bestimmte Landschaft oder ein Gewässer. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich Naturaufstellungen auch für vorwiegend vom Menschen geprägte Systeme eignen, zum Beispiel für einen Bauernhof oder einen Garten, oder für Teilsysteme wie zum Beispiel invasive Neophyten oder die Industriebrache in einer Stadt. Wichtige Erkenntnisse gab es auch bei Aufstellungen im Schnittbereich natürlicher und vom Menschen geprägter Systeme, so zum Beispiel bei Konflikten zwischen Hof- und Wildtieren.
Medizinradaufstellung (Foto: Berchthold Wasser)
Was ist deine Rolle in diesem Prozess?
Wir „begleiten“ eine Aufstellung, wir „leiten“ sie nicht. Das heißt, wir sorgen für Rahmenbedingungen, in denen die Dynamik eines Systems gut sichtbar werden kann. Wir versuchen nicht, sie zu beeinflussen. Selbst wenn eine Absicht noch so gut gemeint wäre, käme sie aus einer Haltung des „Machens“ – und die widerspricht dem Wesen der Naturaufstellung diametral. Im Anliegen, das der Fokus formuliert, ist eine klare Ausrichtung entscheidend. Aber im Prozess der Aufstellung selbst geht es lediglich um Ermöglichung und Begleitung, damit das sichtbar werden kann, was sich zeigen will.
Kannst du versuchen, die Erfahrung der Teilnehmer*innen zu beschreiben?
Bei den Naturaufstellungen erleben die Teilnehmer*innen ihre Zugehörigkeit zur Natur mit allen Sinnen, eindrücklich und nachhaltig. Das Besondere ist der Perspektivenwechsel, wenn in der Stellvertretung von Tieren, Pflanzen, Orten oder Landschaften deren Qualitäten und insbesondere auch ihr „Blick“ auf uns Menschen erfahren wird. Dass dies tatsächlich möglich ist, kann kaum erklärt, in den Stellvertretungen aber real erlebt werden. Diese Art der Kommunikation mit unserer Mitwelt ist nicht etwas, das erst erschaffen werden muss, sie ist im Grunde immer da. Was sich ändern muss, ist unsere Bereitschaft, dem, was sich Moment für Moment zeigt, zu vertrauen und den Mut zu haben, dem, was erscheint, Bedeutung zuzugestehen.
Wo siehst du die Relevanz der Naturaufstellung über die persönliche Erfahrung hinaus?
Naturaufstellungen sind durchaus auch gesellschaftlich bedeutend. Einerseits werden Systeme aus einer neuen Optik erschlossen. Andererseits gewinnen die Teilnehmer*innen durch die wiederholte Erfahrung starker Resonanz die Einsicht, dass Alles auf einer tiefen Ebene innig verbunden ist. Die Naturaufstellungen werden so auch zu einem Lernfeld, in dem die Teilnehmer*innen Zugang zu ihrem inneren Sensorium finden, und mit einiger Übung wird wahrnehmbar, dass diese Schwingungen auch im Alltag da sind. Daraus wächst die Gewissheit, Teil eines Ganzen zu sein. Die hat Kraft – und diese Kraft braucht es für den anstehenden grossen Wandel ganz gewiss. Wer sich auf die Methode einlässt, wird sich verändern.
Gemeinsam mit Nicole Imesch, Babs Matter und Ueli Reinmann beginnst du im September wieder einen vierteiligen Ausbildungszyklus. An wen richtet sich der vor allem?
Die Ausbildung ist – ebenso wie die Seminare – für alle Menschen geeignet, die auf der Suche nach einer intensiveren Verbindung zu unserer Mitwelt sind. Sehr viele Menschen arbeiten bereits auf unterschiedlichsten Wegen an einer Entwicklung, die zusammenführt. Die Anwendungsbereiche sind sehr vielfältig, ebenso wie die bisherigen Teilnehmer:innen, die in den Bereichen Land- und Waldwirtschaft, Umweltbildung, Naturheilkunde, Theater, Gartenbau tätig sind, um ein paar Beispiele zu nennen. Neben dem Erlernen von Techniken und einer präsenten Begleitung von Naturaufstellungen hat gerade der letzte Ausbildungszyklus gezeigt, dass über diese gemeinsame Arbeit und Forschung eine Community entstehen kann, die sich gegenseitig auf diesem Weg stärkt und begleitet. Das Teilen dieser Erlebnisse ist für mich eine der ganz großen Notwendigkeiten. So können sie wachsen und sich verbreiten.
Danke für das Gespräch – und auf ein gemeinsames Wachsen!
* Hier gibts noch mehr zu lesen über die Naturaufstellungen und hier geht’s zum Tagesseminar vom 12. August und zur Grundausbildung, die am 5. September beginnt.

Berchthold Wasser, Jahrgang 1951, Vater zweier erwachsener Töchter, Forstingenieur ETH (eigenes Ingenieurbureau, Schwerpunkte: Waldstandortkunde, Schutzwaldpflege in den Alpen), entwickelt und praktiziert seit 2000 Systemaufstellungen, die die gesamte Mitwelt einschließen. Infos unter www.naturdialog.ch
Fotos: Berchthold Wasser

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