Was ist hier eigentlich los?
Wilderness Residency und Stöcke
Die Künstlerin Anja Uhlig ist sehr vielseitig unterwegs, faszinierend ist in ihrer Vorgehensweise die Parallele zu Naturdialogischem, also eine gute Gelegenheit, die Serie der Künstler:innen, die mit Naturphänomenen arbeiten, fortzusetzen und ein Treffen mit ihr zu arrangieren…
Bereits im Mai treffe ich mich mit Anja an der Isar, einer ihrer liebsten und häufigsten Aufenthaltsorte. Das Rauschen der Isar hat unser Gespräch ziemlich laut untermalt, dennoch konnte ich unser Gesprochenes in der Aufzeichnung gut hören. Anja erzählte mir von aktuellen Projekten und ihrer in meinen Ohren besonderen Vorgehensweise.
Derzeit ist sie mit einer sogenannten „Wilderness Residency“ zu Gast in der Magda-Bittner-Simmet Stiftung am Schwabinger Bach. Das Experiment, das eigentlich ein “Draussen Schlafen” beinhaltet, läuft als Teil der Ausstellung REFLEX, eine Position neben Arbeiten von Nina Annabelle Märkl und den Exponaten der Malerfürstin Magda Bittner-Simmet.
Im Gespräch mit Anja Uhlig an der Isar (Foto: Beate Zeller)
Zuhören, um herauszufinden, wohin es gehen soll.
Bekannt ist Anja Uhlig in München und international vor allem, seit sie 2009 mit den Maßnahmen zur Beseelung des Klohäuschens an der Großmarkthalle begann. Das KloHäuschen (die Schreibweise mit großem H ist wichtig!) steht also an der Münchner Großmarkthalle, und dort gelten ähnliche Prinzipien wie für Anjas Praxis:
„Es steht einfach so da, macht nix und lässt es zu sich kommen und dann passieren Dinge.“ Daraus läßt sich vielleicht schon entnehmen, dass es hier nicht einfach um einen Ausstellungsraum oder eine umgewandelte ehemalige Bedürfnisanstalt geht. Es gibt eine besondere Beziehung zwischen Anja und dem KloHäuschen und sie hört sehr genau hin, was es als Nächstes braucht.
So versuche ich auch herauszufinden, wie Anja in ihrer künstlerischen Arbeit vorgeht und welche Regeln sie für sich findet. Das Streunen, das Absichtslose und ihre Offenheit für die Phänomene scheinen mir jedenfalls dem naturdialogischen Unterwegssein sehr nahe.
Komm heut Abend wieder: Allein!
Ihre Arbeitsreihe „My Wilderness Residency“ wird von einem Brennesselprotokoll begleitet, dort war nachzulesen, „dass Anja Uhlig nach Formen sucht, der Realität so nahe zu kommen, dass diese selber ihre Arbeit beeinflussen kann. Eines der Mittel der Annäherung an die Realität eines Ortes ist dabei die Idee des ‚Draußen Schlafens’.“
Im Grunde sei ihre Arbeit ein Versuch, mit der Welt, wie sie ist, in Verbindung zu kommen, auf verschiedenen Ebenen. Damit erstmal ihre innere und die äußere Welt, die damals stark auseinander klafften, mehr zusammenkommen, hat Anja 2006 das „realitaetsbüro“ gegründet. Mit „ae“ geschrieben deshalb, denn wenn man “realitaet” rückwärts liest, landet man fast beim Theater. Sie hat damals auch gelernt, dass „das hier ein Spiel ist“ und es darum geht, Erfahrungen zu machen. Seitdem hat sich etwas verändert, wie sie sagt, und wenn ihr irgendwas über den Weg läuft, hat sie Lust, stehenzubleiben, sich das anzukucken, und sich zu überlegen, was ihr das jetzt sagen will.
“My Wilderness Residency am Schwabinger Bach” – Beobachtungsposten, 2023. (Foto: Anja Uhlig)
In den Räumen der Stiftung und der Ausstellung REFLEX hat Anja eine Art Beobachtungsposten oder Hochsitz aufgebaut, dort kann man auf einem Drehstuhl Platz nehmen und die Füße in das getrocknete Laub aus dem Garten stecken, das sie ursprünglich als Bettunterlage für die Nacht draussen gesammelt hatte. Auf der einen Seite steht ein Bildschirm, dort ist das Brennesselprotokoll aufzurufen, gegenüber geht der Blick nach draußen. Als ich auf dem Drehstuhl hin und her ruckle, stelle ich mir vor, wie sie auf der anderen Seite des Schwabinger Bachs sitzt.
Blick aus Anjas Raum nach draußen (Foto: Beate Zeller)
Wie präsentiere ich eine Arbeit, die ich nicht sehen kann?
Anja will sich dem Ort von außen nähern und das Wesen des Ortes verstehen.
„Was ist hier eigentlich los?“ ist eine der Fragen, die sie sich stellt und in Auseinandersetzung mit der Geschichte der Malerfürstin Magda Bittner-Simmet merkt sie, wie unterschiedlich ihre Lebensentwürfe sind. Was bringt deren Lebensstil an impliziten gesellschaftlichen Machtstrukturen mit sich – tatsächlich konnte die Malerin von ihren Auftragsarbeiten leben – und wie kann Anja sich dem Ort respektvoll nähern? Sie glaubt zudem, dass die Malerfürstin, die nie ohne Lippenstift aus dem Haus ging, ihrem Ansatz nicht so offen gegenüber gewesen wäre, und das Kampieren im Garten eher abgelehnt hätte… Eine Überlegung ist, sich von der anderen Seite zu nähern, und über den Bach mit einem Floß überzusetzen… daran bastelt sie gerade aktuell.
„Wie präsentiere ich eine Arbeit, die ich nicht sehen kann… „ auch so eine Frage. Es geht ihr darum, zu verstehen, wo sie eigentlich ist. Der Hochsitz ist daher eher eine Notlösung.
“My Wilderness Residency am Schwabinger Bach” – Beobachtungsposten, 2023. (Foto: Anja Uhlig)
Warum ist etwas miteinander verbunden?
Die drei kleinen Eiben sind eine Referenz zu den Eiben auf der anderen Bachseite, somit können die Besucher:innen mit den Bäumchen in ihrem Rücken so in den Garten schauen, wie sie es tut – quasi gespiegelt. Im Tun fand sie dann auch, dass die drei Eiben gut zu den ausstellenden Künstlerinnen passen.
Einmal lag auf dem Weg zur Stiftung ein Stock auf dem Boden – die Verbindung zu einer anderen Arbeit, in der sie Stöcke, die sie bei nächtlichen Spaziergängen findet, fotografiert. Der auffällige Stock lag bei einer kleinen Eibengruppe … seitdem ist dieser Radius der äußere Ring, in dem ihr Wirken stattfindet. Einer dieser „Zufälle“, an denen sich die Künstlerin entlang bewegt, im Versuch, Strukturen zu erkennen, die dann möglicherweise relevant für ihre Arbeit sein können.
Warum ist etwas miteinander verbunden?
In ihrer Arbeit verfolgt sie unter Umständen Wege, deren Sinn sie nicht kennt, ähnlich wie die Künstlergruppe der Situationisten, die oftmals auf sog. „dériven“ durch die Stadt streiften, sich nach selbsterfundenen Regeln bewegten, um an Orten zu landen, die sie ansonsten nicht aufgesucht hätten…
Kurationskriterien der eigenen Wahrnehmung finden
Und es geht dann immer auch darum, Auswahlregeln zu finden – „machste, machste nicht“ – oder wie die Künstlerkollegin Nina Annabelle Märkl im Gespräch schön formuliert: „Es geht darum, Kurationskriterien deiner eigenen Wahrnehmung zu finden.“
So hat sich Anja zum Beispiel die Regel gegeben, jeden Neumond und Vollmond mit einer Sofortbildkamera zu fotografieren: Ein Polaroidbild machen, und zwar in dem Moment, wo der Mond gerade voll oder neu ist. Dieser Zeitpunkt ist auf der ganzen Welt gleich, wobei der Mond zu diesem Zeitpunkt eben manchmal sichtbar ist und manchmal nicht. Mondauf- und Untergangszeiten oder Sonnenauf- und Untergangszeiten sind wiederum verschieden, je nachdem, wo man sich befindet auf der Erde.
„Ich versuche, Dinge für mich zu strukturieren. Ich versuche, Regeln zu finden, nach denen ich mich richten muss. Die einfachste Regel, die ich gefunden habe, war, dass ich den Mond fotografieren muss, ich hatte das Bedürfnis rauszukriegen, wie das ist mit dem Mond; also Anja, wenn du möchtest, dass du mehr mitschwingst mit dem Ganzen, dann wärs mal cool, wenn du weißt, wo der Mond ist. So kam es zu dieser Aufgabe.“
Das Zeichen [20230816_sign.jpg] – aus der Serie “Lerne Zeichen!”, digitale Fotografie, Tryptichon, 2023. Foto: Anja Uhlig
Sich öffnen für das Wunderbare
Es geht auch darum, sich zu öffnen für das Wunderbare – so hat sie bei ihrer ersten „Wilderness Residency“ im Projektraum Streitfeld an der Isar einen Stock gefunden, den sie mitnahm, noch ohne zu wissen, dass er am Ende genau an einer Stelle in den Raum passen würde und exakt die notwendigen 2 Meter 90 dafür mitbrachte!
„Das mit den Stöcken – ist eigentlich nur, weil ich Stöcke unglaublich toll finde. Und dann hab ich mal einen fotografiert, diesen Abgeknickten, der lag genau auf meinem Weg, ich hab ihn in die Erde gesteckt, mit dem Fahrradlicht angeleuchtet und fotografiert, für mich hat das eine unglaubliche Schönheit und Magie, … es gibt inzwischen ziemlich umfangreiche Stocksammlungen, ich schau mir die Bilder unglaublich gerne an, es hat so was Erhabenes und gleichzeitig sind es echt nur so Hundestöcke, … ich strahle die nur mit dem Fahrradlicht an und versuche, dass man die ganze Linie sieht …”
Für Anja ist es schön, das sichtbar zu machen, was sie erfährt – und sie sagt, sie könne im Endeffekt nicht viel mehr machen, als ihre Aufgaben erfüllen. Und die Dinge auf sich zukommen lassen: „Zurücktreten – das ist sehr schwer, wenn du ein Ziel hast.“
Das Zeichen [20230614_sign.jpg] – aus der Serie “Lerne Zeichen!”, digitale Fotografie, 2023. Foto: Anja Uhlig
Du musst präsent sein, damit dir ein Stock passieren kann, du kannst es nicht beeinflussen.
Mir geht es jedenfalls so, dass ich Anja super gerne zuhöre, wenn sie spricht und von ihrer Arbeit erzählt. Ich bin gespannt, wie sich die „Wilderness Residency“ am Schwabinger Bach weiter entwickelt. Am 24. August lädt sie dorthin zu einem Spaziergang ein.
Derweil wird Das KloHäuschen mit den Pflanzungen von Andreas Pytlik zum Wald. Zum Kunstwald. Mit seiner Pflanzung setzt er in jede der Kacheln des KloHäuschens eine passbildgroße Baumzeichnung. Anja ist es an dieser Stelle wichtig, hervorzuheben, dass das KloHäuschen ganz unabhängig agiert und ebenso wie sie nicht die „Natur“ zum Thema hat.
Alles kann Teil von Anjas Arbeit werden, dass es oft Dinge aus und mit der Natur sind, liegt einfach daran, dass sie so gern rausgeht.

Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Portraitfoto: Susanne Erasmi

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