Meine Wurzelhände wachsen tief
„Dazwischensein“: Die Künstlerin Judith Egger gräbt eine Höhle und baut ein Artefakt für die Ausstellung im DG Kunstraum in München
Tief in die Erde graben, eine Höhle will sie sich bauen. Wie könnte man sich besser erden, und ganz konkret mit der Erde verbinden, als sich einzugraben?
Judith Egger: o.T., 2024, Originalradierung auf Bütten, 15 x10 cm, Auflage 100
Aufmerksam wurde ich auf Judith Egger nicht erst, als sie sich zunächst für das Feuer als Forschungsprojekt entschied, ihr Beitrag für den DG Kunstraum im Rahmen der neuen, von Benita Meißner kuratierten, Ausstellungsreihe „Dazwischensein“. Das Lebendige, Elementare, Unkontrollierbare, Wilde interessiert sie von Grund auf. Und Judith fiel mir sofort ein, als ich über Künstler:innen nachdachte, die sich explizit mit Naturphänomenen beschäftigen und sich diesen auch ganz konkret aussetzen.
(…) Unkontrolliertes organisches Wachstum, parasitäre Organismen und radikale Transformationsprozesse gehören zu ihren Forschungsgebieten (…) Sie plädiert für eine neue Beziehung mit allem Lebendigen, welche nicht von Dominanz, Trennung und Unterwerfung geprägt ist, sondern vom Wissen über die gegenseitige Abhängigkeit und von tiefer Verbundenheit. Dabei bewegt sie sich mit Vorliebe in den Grenzbereichen von bildender Kunst, Installation und Performance.
Mein naturdialogisches Interesse ist geweckt, außerdem habe ich große Lust, Judith in ihrem Häuschen in Gräfelfing zu besuchen, wo sie mit ihrer Tochter Romy und dem Kater Pantoffel lebt. Dort im Garten ist sie dabei, den Tunnelbau zu erfinden, der als Artefakt der Höhle im Ausstellungsraum dienen soll. Glücklicherweise gibt es diesen Garten, ihr Atelier hat sie während Corona aufgegeben, ist jetzt aber wieder auf der Suche nach einem Raum.
Tunnelbau im Garten
Im Bau fühlt es sich erstaunlich authentisch an, als wären wir tatsächlich in einem unterirdischen Erdgang. Die „echte“ Höhle befindet sich in der Landschaft ihrer Kindheit, im sogenannten „Blauen Land“ bei Murnau und dem Staffelsee, an einem Abhang in Haberg, ein Kilometer ausserhalb von Uffing.
Eine physisch mitunter ziemlich fordernde Aktion…
Das Graben des Lochs hat sie über mehrere Tage beschäftigt. Und irgendwann musste sie dann auch aufhören, sonst wäre noch der Abhang ins Rutschen gekommen und hätte sie lebendig begraben….
Nun ist die Höhle begehbar…
Wie ist es, sich in diesem Erdloch aufzuhalten?
In der entstehenden künstlerischen Arbeit aus dem Prozess sind die Besucher:innen eingeladen, etwas von dem unaussprechlichen Erlebten selbst zu erfahren.
Blick aus dem Höhleninneren…
Die Vorgängerarbeit „Secret Chapel“ hatte bereits den Prozess der Verwandlung und des Vergehens zum Thema, dafür hatte Judith einen geheimen Ort im Wald mit ungebrannten Tonskulpturen bestückt und die Veränderungen über ein Jahr mit Video dokumentiert.
secret chapel
Während sie daran arbeitete, wurde ihr Vater krank und starb. Dieses Projekt war ihr eine Hilfe, mit der Trauer umzugehen und daraus entstand auch der Wunsch, sich eine Höhle zu graben. Als die Mutter starb, hatte sie wieder den Impuls, ein großes Loch zu graben. Es ist wie das kindliche Spiel, sich ein Lager zu bauen, was sich als fundamentales Bedürfnis, sich eine Höhle zu machen und sich da hinein zu setzen, herausstellt. Sie möchte Erdschichten abtragen und so ganz sinnlich das Lebendige der Erde erfahren.
Viele Assoziationen werden geweckt bei dem Höhlenthema, nicht nur Geburt und Neuanfang, auch das Sterben, das Zurückkehren in den Schoss von Mutter Erde, das zyklische Werden und Vergehen des Lebens, die Anfänge der Menschheit, die Höhlenmalereien, die Entstehung des Feuers durch Blitzeinschlag.
Das Feuer wird in einem der Höhlengänge thematisiert werden, so zumindest der aktuelle Stand, das ist noch im Prozess…
Nachdem sie Wasser und Wind bereits performativ erforscht hatte, lag es nahe, sich für das Feuer zu interessieren, aber letztlich behagte es ihr nicht, das Thema der Elemente so stur abzuarbeiten, das sei ihr dann doch eher wie eine Kopfgeburt vorgekommen. Die Höhle zog mehr…
Judith Egger
Sie träume seit zwanzig Jahren davon, einen Verdauungsgang zu bauen, gewissermassen auch ein Hohlraum im Inneren des Körpers. Ein Ort des Übergangs, der Verwandlung.
„Das Körperliche ist schon mein Ding.“
In diesem aktuellen Projekt lässt sich auch erstmals ihre graphische und zeichnerische Praxis mit dem Skulpturalen und Installativen verbinden. Bislang hatte Judith beide Sphären getrennt gehalten. Im Eingangsbereich des Höhlenbaus, durch den man voraussichtlich nur einzeln hindurch schlüpfen kann, werden Zeichnungen von ihr projiziert.
Zwischenräume, Transformation, der Prozess des Werdens, darum kreist es immer in ihren Arbeiten.
Bis zur Vernissage am Abend des 10. Oktober wird sich noch einiges tun im Tunnel- und Höhlenbau der Judith Egger… die Ausstellung ist dann bis 7. November zu sehen.
„Umhöhlt und von Dunkelheit umschlossen, Erdgeruch in der Nase, entzünde ich ein Feuer. Meine Wurzelhände wachsen tief, während der Geist weite Räume und Zeiten durchwandert bis zum Ursprung. Es drängt mich raus und ich lerne Tag und Nacht kennen, den Regen und die Energie der Sonne. Mir wachsen Blätter, Blüten und Früchte bis alles vermorscht und ich zurückkehre ins Dunkel, bereit für den nächsten Zyklus.“ Judith Egger
Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Portraitfoto: Franz Kimmel
Alle Zeichnungen und Fotos im Beitrag: Judith Egger
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