Saum, Gürtel und Mantel
Impressionen vom Netzwerktreffen in der Ostschweiz
Der Mensch kann nicht anders, als von den eigenen vergleichenden Begrifflichkeiten auszugehen. Der Waldrand wird beschrieben als versehen mit Krautsaum, Strauchgürtel und Waldmantel, als sei das eine angezogene Gestalt.
Eine Gestalt hat er schon, der Waldrand, oder die Waldränder, es franst auf jeden Fall aus, es gibt Übergangszonen, der dichte Baumbestand hört nicht abrupt hier auf und dort beginnt die Wiese. Wie sympathisch ist das. Es ist organisch. Der Mensch hingegen baut Strassen, die kappen, was da bislang wuchs, er fährt in einer überhöhten Geschwindigkeit in einer Blechkiste an der Landschaft vorbei, kann sie nicht wahrnehmen, denn er muss auf den Verkehr achten. Den Müll, den er konsumierend im Auto produziert, oder im Lkw, den wirft er aus dem Fenster, dann sieht er ihn nicht mehr, also ist er weg. Deswegen ähneln die Straßenränder auch häufig Müllkippen. Aber davon will ich ja gar nicht erzählen.
Erzählen will ich von meiner Freude und Begeisterung und Überraschung und dem Wohlsein beim naturdialogischen Netzwerktreffen von Donnerstag Nachmittag auf Freitag Mittag mitten im August. Heidibrunnen heißt einer der vier verschiedenen Treffpunkte, wir sind in der Nähe von Bad Ragaz und finden uns umringt von Waldrand auf einer weitläufigen Wiese, bestanden von beeindruckenden uralten Solitäreichen.
Ja leider ist die Baumkrone beschnitten auf dem Handyfoto, das kommt daher, dass ich Claudia im Fokus hatte, die unter dem Baum sitzt, an den Stamm gelehnt… man sieht sie kaum.
Es ist genug Platz für alle, die außer uns noch da sind, ein Paar auf einer Bank, später eine große Gruppe von kleinen Mountainbikern. Nach einer ersten Vorstellungsrunde im kleinen Kreis von fünf Personen schwärmen wir aus, erkunden den Platz, gehen in den Wald und wieder hinaus, übertreten die Schwelle ins Licht und ins Freie und kosten die Unterschiede. Sobald ich den Trampelpfad, der in den Wald führt, verlasse, gerate ich ziemlich ins Dickicht, Brombeerzweige, Lianen hängen mir im Weg und ich habe Mühe, vorwärtszukommen. Lange dauert es nicht, bis ich mich wieder nach Ordnung und Wegführung, Licht und Überblick sehne.
Einladend wirkten die kleinen rosa Alpenveilchen am Eingang zum dichteren Baumbestand, am Fuße der Kiefern, es gibt sie aber nicht nur dort, sondern sie leuchten auch überall im Wald zwischen den Blättern hervor und in der Wiese finden sie sich besonders zahlreich in der Nähe der großen Baumstämme. Bezaubernd.
Foto: CC BY-SA 3.0
Cyclamen purpurascens, das Europäische Alpenveilchen, wird auch Wildes Alpenveilchen, Zyklame, Erdscheibe oder Erdbrot genannt. Oder Schweinbrot wie auf dieser Zeichnung. Blütenökologisch handelt es sich um vormännliche „Glockenblumen mit Streukegel“. Aha.
Abbildung: Leonhart Fuchs. New Kräuterbuch, 1543
Für den Schlafplatz wähle ich eine Kuhle, umringt von lauter Blümchen, das fühlt sich gut an, drei große Eichen nehme ich mir als Referenz und schützenden Ring.
Die andere Blume, die uns auffällt dort, heißt Hauhechel, sie hat nicht nur kleine rosa schmetterlingsartige Blüten, sondern auch ziemliche Stacheln: die Dornige Hauhechel (Ononis spinosa), auch Weiberkrieg oder Eindorn genannt. Wer vergibt diese Namen??
Der botanische Gattungsname Ononis ist aus dem griechischen Wort ónos für Esel abgeleitet. Ähnlich wie bei den meisten Leguminosen geht die Dornige Hauhechel in ihren Wurzelknöllchen eine Symbiose mit stickstofffixierenden Bakterien ein und trägt so zur Fruchtbarkeit des Bodens bei. Auch Symbiose mit Wurzelpilzen findet statt.
Foto: Michael Becker
Von der Symbiose zur Sympoiese, mehr dazu dann in der neuen Publikation “Natur-Dialoge” von Astrid Habiba Kreszmeier ab Mitte September…
Das gemeinsame Kochen am Feuer geht Hand in Hand und auf wunderliche Weise sind wir uns im Gespräch über die pandemischen Zumutungen sehr einig. Ein Fast-Voll-Mond beleuchtet die Szenerie, satt und genährt kringeln sich alle in ihre Schlafsäcke.
[…] »Siehst du«, erklärte der Großvater, »das macht die Sonne, wenn sie den Bergen gute Nacht sagt, dann wirft sie ihnen noch ihre schönsten Strahlen zu, dass sie sie nicht vergessen, bis sie am Morgen wiederkommt.« Das gefiel dem Heidi und es konnte fast nicht erwarten, dass wieder ein Tag komme, da es hinauf konnte auf die Weide und wieder sehen, wie die Sonne den Bergen gute Nacht sagte. Aber erst musste es nun schlafen gehen, und es schlief auch die ganze Nacht herrlich auf seinem Heulager, und träumte von lauter schimmernden Bergen […]
Die Nacht war ruhig, einzig ein Reh galoppierte auf der Kuppe vorbei. Ein einziges.
Ab wann ist ein Wald ein Wald? Sind ein Dutzend Bäume bereits ein kleiner Wald?
Der Waldrand bietet im Rücken den Schutz und vor uns die Weite, den Weitblick.
Der Philosoph Christoph Quarch schreibt in dem Essay “Sicherheit & Freiheit” davon, dass die Menschen freie Zugehörige eines lebendigen Seins in der Welt seien.
[…] Zugehörigkeit schafft Sicherheit und Freiheit. Nicht die Sicherheit, die das auf sich allein gestellte, egoistische und rationale Subjekt der Neuzeit für sich reklamierte; nicht die Sicherheit des Marktteilnehmers, der in Freiheit seinen eigenen Interessen nachgehen möchte; sondern eine Sicherheit, die daraus wächst, dass man sich getragen weiß von einer menschlichen Gemeinschaft, die sich sorgt und kümmert und die einen nicht vergisst. […] erschienen in der Schriftenreihe „Die Pandemie – was wir verlieren / was wir gewinnen“, ReMedium Verlag, Geisenheim 2020
Die menschliche Gemeinschaft ist da, ja, und auch die mehr-als-menschliche als Gegenüber, diese Beziehungen gilt es zu pflegen.
Auf meinem Balkon wachsen kleine Eichenzöglinge, elf an der Zahl, ich will sie nun in den Boden pflanzen, in der Stadt gar kein so leichtes Unterfangen. Sie sollen ja nicht gleich wieder niedergemäht werden. Einige haben nicht überlebt, bis ich zurück bin von meiner kurzen Reise, einige finden einen Platz im rauen und unsicheren urbanen Klima, fünf bringe ich wieder zurück von meiner Ausfahrt, sie dürfen noch bleiben. Hoffnungsträger.

Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Portraitfoto: Ulrike Riede
Fotos ohne Copyrightangabe: Beate Zeller

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An diesem Waldrand in Maienfeld sind wir auch auf eine Versuchspflanzung für den zukünftigen Wald der Schweiz getroffen. Das war insofern interessant als wir ja auch über den Begriff Natur philosophiert haben und uns jene Wortherkunft sehr gut gefallen hat die Natur versteht als alles Lebendige das auch sich selbst heraus geboren wird. Darüber liesse sich mit Blick auf solche Versuchswälder natürlich von Neuem spannend weiterdiskutieren…