Appezöller Bläss
nicht aus Schokolade, …
wie man sie als Blässli in der Confiserie in Gais kaufen kann, sondern zwei echte Exemplare ihrer Art rennen auf freiem Feld auf mich zu, bellend natürlich, als ich mich von HUNDwil aus auf dem Weg zur Hundwiler Höhi befinde.
Da bleibt nicht viel Zeit, zu überlegen. Ich stelle mich der Situation, erinnere mich an die Hinweise meiner kundigen Freiburger Cousine über die Hundesprache: mit hoher Stimme sprechen, sich seitlich zu ihnen stellen und die flache Hand ausstrecken – das versuche ich zu beherzigen – aber die Ereignisse überschlagen sich – während der eine, mit traditionellem Appenzeller Halsband versehene Hund mich lauthals verbellt, will der andere gestreichelt werden und schmeichelt sich ein, legt sich auf den Rücken, präsentiert seine weiche, hautige Innenseite, springt an mir hoch. Ich streichle ihn, die Unterwerfungsgeste annehmend, im Bestreben, eine harmonische Kooperation einzugehen – dann lassen sie von mir ab, beschäftigen sich miteinander, beißen sich spielerisch und ich erkenne: es handelt sich um noch junge Hunde – schließlich gehe ich einfach weiter.
Der schmusige Hund stellt sich mir in den Weg, ich streichle wieder, spreche mit ihm, lobe und schmeichle ihm, er läuft weiter hinter mir her. Der Bellbruder bleibt schließlich zurück, als ich den erweiterten Hofbereich hinter mir lasse. Der Schmusige ist, wie ich später feststelle, eine Hündin, sie geht mit mir mit – mit der größten Selbstverständlichkeit. Jederzeit rechne ich damit, dass sie zurückbleibt, umkehrt, bis sie so weit mitläuft, dass ich mir schon Sorgen mache, ob sie wohl wieder zurückfindet und wie die Besitzer das finden, dass ihnen der Hund abhanden gekommen ist – sollen sie sich halt besser um sie kümmern! Ich gehe weiter.
Die Hündin läuft voraus, dann schnüffelt sie irgendwo, überholt mich wieder, kackt mitten auf die Wiese – muss ich dafür jetzt Verantwortung übernehmen?
Blick zur Hundwiler Höhi
Wir kommen in den Wald und ich gewöhne mich daran, eine Begleitung zu haben – sie stöbert links und rechts ins Unterholz – hoffentlich jagt sie keine Rehe auf, aber sie kommt immer wieder brav zurück, schaut nach mir. Ich rufe nicht, freue mich aber zunehmend an ihrer Anwesenheit. Unsichtbare Fäden weben sich zwischen uns. Wir kommen bis zur Müllershöhi, danach ist der Weg nicht mehr zu erkennen wegen Schneeverwehungen, der Wind bläst ziemlich, ich beschließe umzukehren – das versteht sie sofort und sie ist einverstanden. Sie freut sich offensichtlich über den vielen Neuschnee. Als ich einmal hinfalle, springt sie herbei und schaut nach mir.
Blick von Müllershöhi
Ich freue mich auch über die Sonne, die herauskommt, den Blick über die Landschaft bis zum Bodensee und unseren unverhofften gemeinsamen Spaziergang. Offensichtlich hat sie beschlossen, ihren nötigen Auslauf mit der nächstbesten Person wahrzunehmen. Von ihrer Anhänglichkeit und liebevollen aufmerksamen Art bin ich sehr berührt. Als ich mich wieder oberhalb des Hofes auf eine Bank setze, meine Suppe aus der Thermoskanne schlürfe, setzt sie sich dazu, leckt mir die Hände.
Dann kommen zwei Kinder von unten und rufen „HUNDI“. Sie läuft zu den beiden, die sich den verschneiten Hügel runterkullern lassen, spielt mit ihnen und bleibt dort. Der Bellbruder kommt wieder angelaufen – er kann mir keinen Schreck mehr einjagen, ich bin erstmal geheilt.
Unwiderstehlich
Dazu ist noch zu sagen, dass ich sehr viel Respekt vor Appenzeller Hunden habe, und schon ziemlich ins Bockshorn gejagt wurde vom Gebell des revierverteidigenden Nachbarhunds in der Nähe des Rosenhofs.
Und nun dieses eindrückliche Erlebnis…
Im Nachklang dieser phänomenalen Begegnung kommt es mir vor, ich hätte wie zwischen Angst oder Liebe wählen können. Die Entscheidung fiel in der Situation sehr leicht. Sie hat es mir leicht gemacht.
P.S.: Dieser Text ruft einen Artverwandten ins Gedächtnis: Von Konstanze Thomas mit dem Titel “Hundestunde”, nachzulesen im Blog Wildes Weben

Beate Zeller ist selbständig mit Dramaturgie & Pressearbeit in München tätig. Den Natur-Dialog Ansatz hat sie bei nature&healing im Lehrgang Systemische Naturtherapie 2016/2017 kennengelernt, mit dem Masterzyklus 2018/2019 vertieft, und ist seitdem anders unterwegs.
Portraitfoto: Franz Kimmel
Fotos: Beate Zeller

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